Keine Wahrheit möglich

■ Kampnagel: Gilla Cremer versucht in einem Solo-Stück eine Annäherung an Ilse Koch, die sogenannte Kommandeuse des KZs Buchenwald

Ein mögliches Mißverständnis wollen Gilla Cremer und Johannes Kaetzler von vornherein vermeiden: „Wir haben nicht versucht, die Persönlichkeit der Ilse Koch zu rekonstruieren. Vielmehr dient sie uns als Projektionsfläche, auf der wir die Grenze der Täterschaft betrachten können“, so Kaetzler, Regisseur des Solos Die Kommandeuse, das Freitag auf Kampnagel Premiere hat. Ilse Koch, die „Hexe von Buchenwald“, ist heute namentlich kaum noch bekannt, aber die zentrale, ihr zugeschriebene Greueltat ist immer noch ein Inbegriff des nationalsozialistischen Grauens: Ihr wurde nachgesagt – obwohl es nie zweifelsfrei bewiesen werden konnte –, daß sie tätowierte Häftlinge habe töten lassen, um aus ihrer Haut Lampenschirme und Bucheinbände machen zu lassen.

Als relativ gesichert dagegen gilt das Auftreten der Frau des Lagerkommandanten von Buchenwald Karl Koch in dem Konzentrationslager: Mit Reizwäsche und eindeutigen Posen soll sie Häftlinge provoziert haben, um sie dann, ganz nach ihrer schrecklichen Laune, entweder für Beachtung oder für Nicht-Beachtung bestrafen zu lassen. Diese sadistische Neigung, die vielen Häftlingen zumindest mittelbar das Leben gekostet hat, hat in ihrer pervers-erotischen Aufgeladenheit dazu geführt, daß Ilse Koch nach Kriegsende kein gerechter Prozeß mehr gemacht werden konnte. Nachdem der amerikanische General Clay das erste lebenslange Urteil eines alliierten Gerichtes bereits in eine vierjährige Haftstrafe umgewandelt hatte, weil er die Prozeßführung als fehlerhaft und unsauber kritisierte, führten weltweite Empörung und wütende Demonstrationen zu einem zweiten Prozeß. Unter dem internationalen Druck verurteilte diesmal ein deutsches Gericht Ilse Koch erneut zu lebenslanger Haft. Nach diversen Gnadengesuchen nahm sie sich 1951 das Leben.

Trotz der bewußten Distanz zur historischen Person, stellt Gilla Cremer in chronologischer Reihenfolge die Lebensgeschichte der Ilse Koch in Form von memorierenden Szenen dar. Dabei legt das Team großes Gewicht auf ihre widersprüchliche Erscheinung und die nicht minder widersprüchlichen Reaktionen auf sie nach dem Krieg. „Es gibt keine Wahrheit über Ilse Koch“, sagt Gilla Cremer. Ihren „schlaglichtartigen Annäherungsversuch“ verstehen Kaetzler und Cremer denn auch mehr als einen Versuch, „das Gedächtnis wachzuhalten“. Wobei peinlich darauf geachtet wird, daß jede Nazi-Ästhetik ausgeschaltet bleibt, um die reflexive Distanz unmißverständlich zu erhalten. Ein „serielles Feld“ aus Podesten bestimmt die Bühne, die ansonsten leer bleibt.

Auch ohne dokumentarischen Anspruch verfolgt das Projekt, dem später ein zweites in größerer Form folgen soll, das Ziel, so Kaetzler, „zu zeigen, wie man solche Persönlichkeiten knacken kann.“ Die exemplarische Dimension, die sich Cremer und Kaetzler in ihrer Arbeit wünschen, muß dennoch ein weiteres mögliches Mißverständnis deutlich ausschließen. „Es geht hier“, so Gilla Cremer, „nicht um Verzeihen. Es geht aber auch nicht darum, eine Psychopatin zu zeigen. Dazwischen muß man das Verständnis für diese Frau entwickeln.“ Till Briegleb

Freitag und Samstag, 19.30 Uhr, Kampnagel, k1, danach vom 21.-25.3. und am 28./29.3.