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Keine Verpflichtung zur Missbrauchs-AnzeigeKirchenobere aus dem Schneider

Ex-Bischöfin Jepsen musste sexuelle Übergriffe nicht anzeigen. Das hätte die Staatsanwaltschaft wissen können, bevor sie an die Öffentlichkeit ging, findet die Kirche.

Hat juristisch betrachtet nichts falsch gemacht: Ex-Bischöfin Maria Jepsen. Bild: dpa

LÜBECK taz | Die Lübecker Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen die frühere evangelisch-lutherische Bischöfin für den Sprengel Hamburg und Lübeck, Maria Jepsen, eingestellt. Im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen bestehe kein hinreichender Straftatverdacht, teilte Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders am Mittwoch mit.

Auch die Verfahren gegen einen weiteren ehemaligen Bischof und zwei weitere Beschuldigte, darunter die ehemalige Oberkirchenrätin Heide Emse, werden fallen gelassen. Die Nordkirche kritisierte das Hü und Hott der Staatsanwaltschaft. Das habe dazu geführt, dass Kirchenmitglieder zu Unrecht an den Pranger gestellt worden seien.

Jepsen war nach einer privaten Anzeige beschuldigt worden, Ende der 1990er-Jahre einen Pastor geschützt zu haben, der in Ahrensburg im Kreis Stormarn mindestens 13 Jugendliche sexuell missbraucht haben soll. Die Staatsanwaltschaft erklärte nun, dass die Kirchenoberen unter strafrechtlichen Gesichtspunkten nicht verpflichtet waren, ihre Informationen über den sexuellen Missbrauch an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.

„Vorgesetzten Bediensteten kirchlicher Institutionen weist das Recht nicht die Aufgabe zu, Belange der Strafrechtspflege wahrzunehmen“, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Ihnen könne daher auch keine Unterlassung vorgeworfen werden.

Von Strafvereitelung hätte nur gesprochen werden können, „wenn etwa zur Strafanzeige entschlossene Personen durch unlautere Mittel von der Realisierung ihrer Absicht abgebracht worden wären oder auch nur abgebracht werden sollten“. Anhaltspunkte dafür hätten sich „nicht im Ansatz“ ergeben, sagte Oberstaatsanwalt Anders.

Jepsens Nachfolgerin im Bischofsamt, Kirsten Fehrs, kritisierte das Vorgehen der Staatsanwaltschaft scharf, ebenso der Vorsitzende der Vorläufigen Kirchenleitung der Nordkirche, Bischof Gerhard Ulrich, und der Präsident des Landeskirchenamtes Peter Unruh. Erst am Freitag habe die Staatsanwaltschaft öffentlich von Ermittlungen gesprochen, die sich noch über Wochen und Monate hinziehen würden, sagte Fehrs.

„Nun, nachdem die Beschuldigten tagelang einer rufschädigenden Medienberichterstattung ausgesetzt waren, stellt die Staatsanwaltschaft plötzlich fest, dass eine Strafbarkeit gar nicht in Betracht kommt“, kritisierte die Bischöfin. Oberstaatsanwalt Anders sagte, der Pressesprecher habe am Freitag nicht ausschließen können, dass es zu längeren Ermittlungen komme.

Für Anselm Kohn vom Verein Missbrauch in Ahrensburg war die Einstellung „überhaupt gar keine Überraschung“. Innerhalb des Vereins sei klar gewesen, dass die Vorgesetzten des mit Missbrauchsvorwürfen konfrontierten Ahrensburger Pastors nicht verpflichtet gewesen seien, die Behörden zu informieren.

Allerdings müsse sich die Kirche weiter um die Frage kümmern, in welchen Fällen ein Missbrauch angezeigt werden müsse, sagte der Vereinsvorsitzende. Hier machten die Handreichungen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Nordkirche Unterschiede.

Kohn bedauerte, dass durch die Berichterstattung wegen des Strafvereitelungsverdachts große Fortschritte in den Hintergrund getreten seien. Die Kirche habe eine Aufklärung der Vorfälle durch externe Sachverständige zugelassen und im Umgang mit Betroffenen Verständnis gezeigt.

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3 Kommentare

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  • GG
    Gerd Grünewald

    Es ist schon erstaunlich, dass Kirchenbeamte in keiner Weise verpflichtet sind, Straftaten anzuzeigen. In der Konsequenz heisst dass, das Vertuschung und Verleugnung weiter tolerierte Praxis sein könnte. In dem innigen Verhältnis von Staat und Kirche, diese sogenannten 'christlichen Werte' ist daher kein Wunder, dass eine übergeordnete Instanz das Verahren an sich zieht und umgehend einstellt. Die Politik katholischer wie evangelischer Institutionen in den letzten 50 Jahren gäbe genug Stoff für eine weitere Folge der Kriminalgeschichte des Christentums ab und das Wort nicht nur zum Sonntag sollte sein: Austritt.

  • C
    ChristianBerlin

    Dass das ganze rechtlich nicht angehen kann, fällt euch aber doch ein wenig spät auf, wenn man sich euren unkritischen Bericht vom vergangenen Freitag ins Gedächtnis ruft.

     

    Eure linke Konkurrenz war etwas kritischer: Der Freitag hat diese Ermittlungen schon kritisiert, bevor deren Einstellung bekannt wurde.

     

    Nix für ungut. ;)

     

    https://www.freitag.de/autoren/christianberlin/bischoefen-droht-anklage#1347467497448774

  • AO
    Angelika Oetken

    Staatsanwalt informieren - sowieso unnötig. Oder?

     

    Praktischerweise werden viele der Missbrauchsopfer sowieso krank, drogensüchtig, scheitern auf vielfältige Art. Etliche begehen Selbstmord, wandern in den Knast, oder sterben früh an Krankheiten, dann sind sie ja eh entsorgt.

     

    Dabei ist es egal, ob die Betroffenen die erschreckende Diskrepanz zwischen vorgeblicher und praktisch gelebter Nächstenliebe innerhalb der Institution christliche Kirche erleben mussten oder im familiären Nahfeld lernten, dass die vorgeschützte angebliche "Elternliebe" realen Belastungen nicht stand hielt.

     

    Durch Beides kann man Kinder und Jugendliche vernichten.

     

    Ob das geschieht oder eben verhindert wird - daran zeigt sich u.a der Wert einer Institution oder einer Familie.

     

    Um so wichtiger, dass wir genau prüfen, wer uns politisch vertritt, wer unsere Angelegenheiten in Institutionen regelt, wer unsere Kinder betreut.

     

    Vertrauen ist gut - so lange die Kontrolle und die Absetzung von Verantwortlichen jederzeit möglich ist.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, Betroffene sexualisierter Misshandlung in der Kindheit