: Keine Umarmung für Trauerkloß
■ Die 17jährige Surya Bonaly gewann als erste Französin eine Europameisterschaft im Eiskunstlaufen Trotz Silber für Evelyn Großmann präsentierte sich Erfolgstrainerin Jutta Müller mit grimmiger Miene
Sofia/Berlin (dpa/taz) — Jutta Müller aus Karl-Marx-Stadt denkt nur an Gold. Schon der zweite Platz und Silber ist für die erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt ein persönlicher Affront, eine schier unerträgliche Niederlage. Und eben diese mußte sie bei der Europameisterschaft in Sofia einstecken.
Ihre Schülerin Evelyn Großmann traute sich, was nicht einmal Genossin Katharina Witt gewagt hatte: Nur Zweite zu werden. Zwar plazierte sie sich damit noch vor der Deutschen Meisterin und ehemaligen Klassenfeindin Marina Kielmann (Dortmund). Aber selbst das konnte die gestrenge 62jährige Trainerin in keinster Weise besänftigen. Gleich einem wütenden Trauerkloß stapfte sie durch die Katakomben des Eisstadions und verweigerte ihrer Schülerin nach der Kür gar die obligatorische Umarmung.
Als der Delegationsleiter der Deutschen Eislaufunion, Walter Maienschein, grenzenlos naiv versuchte, Frau Müller zum Erfolg zu gratulieren, erlebte er sein blaues Wunder: „Sie ließ mich abfahren“, schnaubte er wütend. „Soll ich Ihnen etwas vorspielen?“, fauchte die grimmige Sächsin erfrischend respektlos zurück. Erst bei der Pressekonferenz entsann sie sich wieder der werbewirksamen Grundregeln und beteuerte listig: „Ich freue mich.“ Um ihre Vorliebe für internationale Titel zu befriedigen, plant sie, die Kür von Evelyn Großmann innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre mit Sprüngen mächtig aufzustocken.
Das wird auch nötig sein. Denn mit der frischgekürten Europameisterin zogen neue Maßstäbe aufs Eis: Surya Bonaly, eine siebzehnjährige Französin, hält sich lieber in der Luft auf als sich den Gesetzen der Schwerkraft unterzuordnen. Als elfjährige zum Schlittschuhlaufen gekommen, beherrscht sie mittlerweile fünf bis sechs Dreifachsprünge.
Bei der Weltmeisterschaft im März in München, so wird gemunkelt, könnte die schwarze Läuferin gar für eine Sprungpremiere sorgen. „Ich wollte den vierfachen Salchow schon in Sofia zeigen. Aber das war nicht nötig“, feixte die aus Reunion im Indischen Ozean stammende Französin.
Eine Schwäche für Rotationen fernab des Bodens hatte sie schon als Kind entwickelt. „Sie war Trampolin-Weltmeisterin und hat deshalb ein Gefühl für Bewegungen in der Luft“, begründet Choreographin Annick Gailhaguet den rasanten Lernprozeß.
Deshalb verdankt die Französin ihren Titel auch einem deutlichen Vorsprung in der athletikbetonten A-Bewertung. Ihre Ausstrahlung wird das grazile Persönchen weiter verbessern müssen, wenn sie — nach der US-Amerikanerin Debie Thomas 1986 — die zweite farbige Weltmeisterin der Eislauf-Historie werden möchte. Der „Sprungfloh des Fernen Ostens“, Titelverteidigerin Midori Ito aus Japan, darf sich auf ein spannendes Luftduell vorbereiten.
Dann ist auch wieder die Standhaftigkeit der deutschen Eiskunstkringlerinnen gefragt, die in Sofia einen Mannschaftswettbewerb mit spielerischer Leichtigkeit gewonnen hätten. Aber da auf diese Idee noch niemand gekommen ist, muß Jutta Müller in diesem Jahr eben ohne Goldmedaille den Heimweg nach Karl-Marx-Stadt antreten. miß
Ergebnis Frauen: 1. Surya Bonaly (Frankreich), 2. Evelyn Großmann (Karl-Marx-Stadt), 3. Marina Kielmann (Dortmund), ...5. Patricia Neske (Düsseldorf), 9. Simone Lang (Karl-Marx-Stadt)
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