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Archiv-Artikel

Keine Situation zum Entspannen

betr.: „Frauen aus Kruppstahl“ von D. Knipphals, taz vom 13. 4. 05

Dass es im Dritten Reich Versuche gegeben hat, Menschen vom Säuglingsalter an zu Härte zu erziehen, bezweifele ich nicht, aber dass sie flächendeckend wirksam waren. Dazu gab es zu viele gegenläufige Bestrebungen. Und: Kommt die Härte der Frauen wirklich nur aus dem Dritten Reich? Ist die Frau vor dem Dritten Reich weniger zu Härte erzogen worden? Gab es weniger Situationen, die Frauen hart gemacht haben? Selbstbeherrschung, Contenance in jeder Lebenslage gehörte zum Verhalten einer Dame. Da gibt es genug in der Literatur über harte alte Frauen. Meine Mutter, geboren 1911, ist von ihrem Vater, einem Pfarrer, unter der Devise erzogen worden: „Bis zum letzten Röcheln immer lächeln.“ Und wie sieht es mit den Einflüssen der Wandervogelbewegungen auf das Verhalten der Frauen aus?

Die Aussage, Flucht und Nachkriegszeit könnten wirklich nicht alles erklären, halte ich dagegen für unsensibel. Das waren für viele Frauen in ihrer eigentlichen Blütezeit 10 oder 15 Jahre härtester Arbeit immer am Rande ihrer Kräfte; natürlich haben sie die Fähigkeit verloren, „auf sich selbst zu gucken“, sie konnten sich nicht pflegen, schön kleiden und sich bewundern lassen. Es ging um das Überleben ihrer Kinder. Sie mussten hart sein gegen sich, um nicht zu verzweifeln, und auch Härte von ihren Kindern verlangen. Dazu gab es unter diesen Umständen oft belastende Eheprobleme. Natürlich ist davon bei einer mehr, bei der anderen weniger Härte geblieben.

INGEBURG BUTTING, Bielefeld

Es mag ja zutreffen, dass viele Frauen durch die Identifizierung mit dem Naziregime hart und kalt geworden sind. Vielleicht ist eine Erforschung dieses Komplexes wirklich noch offen. Die Folgen der Angst um die zwangsweise eingezogenen Ehemänner, Geliebten und Söhne sind weder erforscht noch Gegenstand jeglicher Diskussion. Millionenfach ist diese jahrelange Angst durch den Tod, die Vermisstenmeldung oder Gefangennahme beendet worden. Auch nicht gerade eine Situation sich zu entspannen, zumal „in der Heimat“ Bombenangriffe den Nachtschlaf störten und die Kinder ernährt und versorgt werden mussten. Hart und kalt zu werden geboten die Zeiten, denn ein Weinen um Verlorene und Verlorenes war unerwünscht, stolz sollten die Frauen sein auf den Tod des Ehemannes auf dem großen Schlachtfeld!

Meine 93-jährige Mutter war es nicht, aber sie machte zu, wie man heute sagt, um den Schmerz und das Leben überhaupt bewältigen zu können. Was wird aus Kindern solcher Mütter? Auch das ist bisher nicht tief greifend erforscht, wäre aber wichtig für all die neuen Kriegskinder auf der Welt. INGEBORG HENKER-KELSCH, Hamburg

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