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Keine Neuteile für Alt-AKWs

■ Bundesumweltminister Töpfer will die bisherigen Sicherheitsstandards für ältere Atomkraftwerke drastisch heruntersetzen

Berlin (ap/taz) — Statt abgenutzte Anlagenteile in bundesdeutschen Atomkraftwerken auszuwechseln, wie es die für die Meiler gültigen sicherheitstechnischen Regeln vorsehen, will Bundesumweltminister Töpfer nun die Regeln auswechseln. Das ist zwar nicht sicherer, aber zweifellos einfacher und billiger. Nach einem Bericht der 'Frankfurter Rundschau' liegen entsprechende Empfehlungen der Reaktorsicherheitskommission (RSK) für die nächste Sitzung des Kerntechnischen Ausschusses am 23. Juni vor.

In den rund 20 in Westdeutschland arbeitenden AKWs, die alle in den 70er und 80er Jahren gebaut wurden, erreichen immer mehr Anlagenteile den sogenannten Erschöpfungsgrad 1. Nach den geltenden Sicherheitsstandards müßten sie ausgewechselt werden. Die RSK schlägt stattdessen vor, die Atomanlagen einfach weiterzubetreiben, sofern „durch geeignete betriebliche Überwachungsmaßnahmen gewährleistet ist, daß Schädigungen in sicherheitstechnisch zulässigen Grenzen gehalten werden“. Erst wenn Risse festgestellt werden, müßten die Teile ausgewechselt werden.

Der Umwelt- und Reaktorminister hatte die RSK-Empfehlungen im Bundesanzeiger veröffentlicht. Nachdem ein Sprecher Töpfers zunächst dementiert hatte, daß der Minister plane, die Sicherheitsstandards von Atomkraftwerken herabzusetzen, ging er gestern dazu über, die RSK-Empfehlungen zu verteidigen. Mit den dort vorgeschlagenen Bestimmungen über die Ermüdung von Altanlagenteilen werde lediglich die bereits gängige Praxis festgeschrieben. Bisher werde der Erschöpfungsgrad rechnerisch ermittelt, wenn der Betreiber aber nachweisen könne, daß die entsprechenden Teile noch sicher genug funktionierten, hätten sie nicht gleich ausgewechselt werden müssen. Zukünftig werde erst beobachtet und geprüft und dann ausgewechselt.

Der Kieler Energieminister Günter Jansen (SPD) kritisiert die Bonner Pläne. In einem Brief an das Bundesamt für Strahlenschutz schreibt der Minister, der „technische Bestandsschutz für unzureichend ausgelegte Altanlagen“ dürfe keinesfalls zur neuen Regel gemacht werden. Die RSK-Empfehlungen seien gefährlich, da „insbesondere für den Bereich der druckführenden Umschließung bzw andere Bereiche mit Bruchausschluß bei einem Versagen einer Komponente ein Kernschmelzen nach heutigem Kenntnisstand nicht ausgeschlossen werden kann“. Auch die hessische SPD meldete Widerstand gegen die Überlegungen an, da damit der Weiterbetrieb alter AKWs gesichert werden solle.

„Die Industrie sitzt mit im kerntechnischen Ausschuß und beschließt nun ihre eigenen Regeln“, kommentierte Lothar Hahn vom Darmstädter Ökoinstitut den jüngsten Atom-Sicherheits-Coup. Tatsächlich gebe es zunehmend Probleme mit den Altanlagen, die die Industrie nur mit Mühe in den Griff bekomme.

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