: Keine Melkmaschine im Umkreis der Lauschstation
In der schleswigschen Geest soll eine elektronische Lauschstation der Bundesmarine entstehen / Die unmittelbar davon betroffenen Hofeigentümer werden faktisch vor vollendete Tatsachen gestellt / Entstanden sind die Planungen in den Zeiten der sozial-liberalen Koalition in Bonn ■ Von Peter Huth
Nebel liegt über der schleswigschen Geest. Seit der Autobahnabfahrt bei Flensburg in Richtung Leck wird er immer dichter. Die Ortsnamen Osterby, Medelby, Weesby erinnern daran, daß es in dieser Region lange unentschieden war, ob man zu Dänemark oder zu Deutschland gehörte. Der Nebel läßt kaum einen Blick über die weiten Weideflächen zu. Die Rinder stehen in diesen Januartagen noch in den Ställen. Ab und zu tauchen ein paar Schafe, ab und zu etwas Wald und ab und zu die gehißte Flagge der Bundesrepublik.
Es gibt viele Munitionsdepots in dieser abgeschiedenen Gegend. Die Bundeswehr bietet hier fast überall die einzigen nichtagrarischen Arbeitsplätze. Fast ist das Reiseziel erreicht: Bramstedtlund. Die nördliche Gemeindegrenze fällt mit der Staatsgrenze zusammen. Das Auto biegt in eine Straße ein, die - wie es die Straßenkarte aus den siebziger Jahren noch anzeigt - einfach im Heidesand ausläuft. Doch weit gefehlt. Die Straßendecke ist hervorragend. Das Sanitätsdepot, an dem sie vorbeiführt, erklärt, warum. Der Bund tut etwas für seine Leute und Nachschubwege. Linkerhand liegen Eigenheime von Bundeswehrangehörigen in der hier üblichen Klinkerbauweise. Der stärker aufkommende Wind reißt den Nebel auseinander und gibt den Hof meiner Gastgeber, der Familie Lorenzen, frei.
„Die Herren Matrosen mögen
Zündfunken nicht“
„Das nächste mal mußt du deinen Wagen auf den Hof schieben“, grüßt lachend ein kräftiger blonder Mann um die 30 mit gepflegtem Vollbart, Bauer Lorenzen. „Die Herren Matrosen mögen Zündfunken gar nicht leiden. Das stört ihren Empfang.“ Peter Heinrich Lorenzen bewirtschaftet den Hof gemeinsam mit seinen Eltern. Die Großmutter hat ihr Altenteil in dem prächtigen, 1828 erbauten reetgedeckten Haus. Bisher blickte Bauer Lorenzen recht zuversichtlich in die Zukunft. Nach der Milchquotierung hatte er vermehrt auf Bullenaufzucht gesetzt und so die Finanzeinbußen gering halten können.
Alles schien bestens, bis er am 13.September vergangenen Jahres wie gewöhnlich nach dem Mittagessen einen Blick in das 'Nordfriesland Tageblatt‘ warf. Per Öffentlicher Bekanntmachung erfuhr er, daß am 4.September 1989 die Wehrbereichsbehörde I in Kiel ein Gebiet in den Gemeinden Bramstedtlund und Ladelund - darunter die von ihm Bewirtschafteten 47 Hektar Weideland und sein Hof - zum militärischen Schutzbereich erklärt hatte.
Die Bundesmarine plant in diesem Gebiet die Errichtung eines elektronischen Horchpostens, einer Empfangs- und Peilanlage „für jeglichen Funkverkehr“, wie sich Fregattenkapitän Lang vom Pressestab des Bundesverteidigungsministeriums äußerte. Präziser wollte der Herr gegenüber der 'taz‘ zum Thema Verteidigungsanlage Kastagnette nicht werden. Es war ihm nur noch zu entlocken, daß es in der Bunderepublik vergleichbare Anlagen gebe.
Immerhin ist bekannt, daß in der langfristigen amtlichen Bauplanung der Bundeswehr allein für Bau- und Infrastrukturmaßnahmen 40 Millionen Mark vorgesehen sind, davon für dieses Jahr 2,5 Millionen. Die Kosten der technischen Anlagen wie Antennen, Computerhard- und -software dürften dem in nichts nachstehen. Dennoch bleibt die Dimension der Anlage verschwommen. Aus einer Änderung der Schutzbereichseinzelanforderung von 1981 läßt sich ablesen, daß es sich um ein Antennenfeld mit einem Durchmesser von 400 Metern handelt.
Das deutet auf eine Variante des mächtigen, kreisförmigen Antennengitters in Gablingen bei Augsburg hin, dessen Masten bis zu fünfzig Metern in den Himmel ragen. Dort, im größten US-amerikanischen „Signal Intelligence-Komplex“ (Signal Intelligence läßt sich ungefähr mit elektronischer Spionage übersetzen, die Red.) in Europa arbeiten 2.500 Spezialisten der Abhörbranche in zwölf Stockwerke tiefen Bunkern in drei Schichten rund um die Uhr.
In der Nähe von Bramstedtlund, in dem zu Leck gehörenden Ort Klintum, unterhält die Marine in einem Depot bereits eine Funkpeilstelle. Doch dies ist lediglich ein schlichter Metallmast. 75 Kilometer südlich in Heide befindet sich die Funkpeilzentrale Nord der Marine, und dazwischen in Husum erforscht das Heer den Äther. In Flensburg wiederum ist im vergangenen Jahr das erste von drei Schiffen der Flottendienstgruppe für die fernmeldeelektronische Aufklärung in Dienst gestellt worden. In der Lübecker Bucht, südlich von Neustadt, betreibt die Marine die Aufklärungsstation Pelzerhaken. Dazu kommen fünf Flugzeuge vom Typ Breguet 1150 Atlantic des Marinefliegergeschwaders 2 in Eggebek, die täglich zu elektronischen Erkundungsflügen entlang der Ostseeküste aufbrechen.
„Gütlich“ mit
Hofbesitzern geeinigt
Wegen der geplanten Funkempfangsanlage herrschte in Bramstedtlund schon einmal Aufregung. Einige Bauern befürchteten damals, von ihrem Land vertrieben zu werden. 1976 hatte die Bundesregierung verfügt, daß eine solche Anlage im Norden entstehen soll. Zuerst war sie in Dithmarschen, dann bei Oeversee/Augard vorgesehen. Schließlich entschied man sich für den heutigen Standort. Im Juli 1978 erfolgte ein Anhörungsverfahren zur Beschaffung von ungefähr 60 Hektar Land, an dem Vertreter des Bundes, des Landes, des Kreises Nordfriesland, des Amtes Karrharde und der Gemeinden Ladelund und Bramstedtlund teilnahmen. Im Februar 1979 stimmte das Kieler Innenministerium dem Kauf des weitgehend unbewohnten Geländes zu, im Juni wurde die Oberfinanzdirektion Kiel schließlich mit der Landbeschaffung beauftragt. Im Rahmen der Mittelfristigen Finanzplanung war dies bis 1985 abgeschlossen. Fünf Hof-Besitzer waren vom Landaufkauf betroffen. Lediglich einer davon lag damals mit seinem Hof in unmittelbarer Nähe der geplanten Anlage. Die Behörden einigten sich schließlich „gütlich“ mit den Besitzern, hatten sie doch stets die Keule der Enteignung im Beutel.
Schwieriger gestaltete es sich bei dem einen Hof, der in der Schutzbereichszone lag. Über acht Jahre zogen sich die Verhandlungen mit diesem Bauern hin. Mal hieß es, er wolle verkaufen, mal hieß es, er wolle seinen Hof umrüsten (alle Elektrogeräte isolieren) lassen, war aus der Wehrbereichsbehörde I zu erfahren. Diese Umrüstung hätte rund 400.000 Mark gekostet.
Unter der sozialliberalen
Koalition fing alles an
Die Planung der Bramstedtlunder Lauschstation fällt in die Jahre der sozial-liberalen Koalition in Bonn. Neben der elektronischen Aufrüstung des Bundesnachrichtendienstes wurde auf Drängen der Militärs auch die elektronische Rüstung der Bundeswehr massiv vorangetrieben - wobei die elektronische Spionage nur eines von mehreren Feldern der elektronischen Kampfführung ist. Ein „Amt für Nachrichtenwesen“ in Ahrweiler bei Bonn, das derzeit für 100 Millionen Mark zum „Signal Intelligence„-Analysezentrum ausgebaut wird, war von der Bundeswehr schon vorsorglich als Kern eines eigenen Nachrichtendienstes gegründet worden. Allein in den Jahren 1972 bis 1977 gaben die Bundesdeutschen laut 'Spiegel‘ für die elektronische Kriegsführung eine Milliarde Mark aus.
So klingt es wie blanker Hohn, wenn SPD-Parlamentarier wie Wilhelm Nöbel heute im Bundestag darüber lamentieren, daß die Technik (elektronische Lauschtechnik, die Red.) der politischen Kontrolle immer voraus sei. War es doch seine SPD, die in den 70er Jahren diese Techniken politisch gewollt hat. Genosse Dieter Blötz, der als BND-Vize den Ausbau des elektronischen Lauschapparates organisierte, kümmerte sich um die Kontakte zum großen Bruder, dem amerikanischen Geheimdienst „National Security Agency“ (NSA), und besuchte mehrfach dessen Hauptquartier Fort George G.Meade in Maryland. Die 100.000 Mitarbeiter dieses Amtes hören weltweit Telefongespräche, Satellitenfunk wie militärischen Funkverkehr ab. Sie analysieren Funksignale von Raketenstellungen, U-Booten, Flugzeugen und Panzern. Über die NSA bezogen denn auch Bundeswehr- und BND-Techniker modernstes Lauschgerät.
Auch der gemeine Bürger
kann belauscht werden
Seither belauschen Westdeutsche - BND- und Bundeswehrangehörige gemeinsam - neben den Alliierten den militärischen Funkverkehr in der DDR und CSSR, überwachen Verkehrsnetze und orten die Abstrahlung gegnerischer Wärme und Radarquellen sowie Telefongespräche, die über Richtfunkstrecken abgewickelt werden. Computer sortieren die aus dem Äther gefischten Daten und versuchen, sie zu dechiffrieren. Bei der Telefonüberwachung reagieren die Maschinen auf vorgegebene Telefonnummern oder bestimmte Stichworte und schneiden dann die Gespräche automatisch mit. Gerade dieser forcierte technische Ausbau greift weit in die Privatsphäre der Bürger ein. Helmut Schmidts Kanzleramtsstaatssekretär und BND-Dienstherr Manfred Schüler räumte laut 'Spiegel‘ 1984 ein, daß nicht auszuschließen sei, daß auch Inlandsgespräche aufgefangen werden. Indirekt ließ sich das schon aus seiner Äußerung von 1982 gegenüber dem 'Stern‘ schließen, wo er zugab, daß „Erkenntnisse“ des BND auch an den Verfassungsschutz oder den Militärischen Abschirmdienst weitergeleitet würden.
„Die Kühe riechen doch,
wenn kein Strom drin ist“
Doch zurück nach Bramstedtlund. Beim Melken erklärt mir Junggeselle Lorenzen, der Bund habe verlangt, er solle sein gesamtes Weideland von elektrischen Zäunen auf normalen Stacheldraht umrüsten. „25 Kilometer! Alle fünf bis sechs Meter ein Pfahl! Stacheldraht in vier Reihen!“ redet er sich in Rage. „Die Kühe riechen es doch, wenn kein Strom drin ist, die marschieren da einfach drüber.“ Er unterbricht sich, um das Melkgerät von einer Kuh abzunehmen und zu waschen. „Die Bullen reißen einfach die Pfähle mit ihren Hörnern raus. Da kann ich doch jeden Morgen die Pferde satteln. So bin ich jeden Tag mehrere Stunden unterwegs, nur um die Zäune zu kontrollieren. Wer zahlt mir das?“
Der Bund verlangt noch mehr. Die Vollzugsmaßnahmen der Schutzbereichserklärung sehen vor, daß „innerhalb eines Umkreises von 1.200 Metern um den Antennenmittelpunkt der Betrieb von elektrischen Weidezäunen und Freileitungen sowie die Errichtung von großflächiger Blechverkleidung wie Dächer und Giebel nicht gestattet ist. In diesem Bereich dürfen nur elektrische Geräte betrieben werden, die den Störgrad K einhalten.“
Natürlich haben die Lorenzens eine große blechverkleidete Scheune, die elektromagnetische Wellen reflektiert und so das genaue Peilen unmöglich macht; und den ominösen Störgrad „K“ - geregelt im Vorschriftenwerk Deutscher Elektrotechniker (VDE) 0875 - unterläuft jede Neonröhre im Stall wie auch die Melkmaschine oder der Diaprojektor und Plattenspieler in der guten Stube. Demnach würden Geräte, die elektromagnetische Schwingungen im Niederfrequenzbereich erzeugen, die Marinelauscher stören. Im Niederfrequenzbereich wird der Funkverkehr zwischen Unterseebooten abgewickelt.
Doch damit geben sich unsere Matrosen nicht zufrieden. Die VDE 0875 gilt ebenfalls für elektrische Betriebsmittel und Anlagen, die kurzfristig Hochfrequenz erzeugen. Darunter fallen alle anderen elektrischen Haushaltgeräte. In diesem Frequenzbereich wird in der Regel der militärische Funkverkehr abgewickelt.
Plötzlich in den
Sicherheitsbereich geraten
Anfang der 80er Jahre wurde auf dem vom Bund erworbenen Land ständig der Grundwasserspiegel gemessen. „Es hieß, daß man einen möglichst gleichbleibenden Grundwasserspiegel braucht, um Unterseeboote zu überwachen“, erinnert sich Vater Lorenzen an die Gerüchteküche. „Auch war von einer neuen Kaserne für 500 Soldaten in der Nähe von Niebüll die Rede.“ Er selbst war bis 1978 Gemeinderatsmitglied und bestätigte, daß damals soweit alles rechtens zugegangen sei. Wie sein Hof dann plötzlich in den Sicherheitsbereich geraten war, davon habe er keine Ahnung. „Der Standpunkt der Anlage muß verschoben worden sein.“
Die Lorenzens haben sich entschlossen, einen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen und haben mittlerweile, wie auch andere Bauern, Klage gegen die Schutzbereichsverfügung eingereicht. Gemeinsam haben die betroffenen Bauern, unterstützt vom Bauernkreisverband Südtondern, der Wehrbereichsverwaltung einen Fragenkatalog über die tatsächlich zu erwartenden Einschränkungen vorgelegt, um wenigstens eine Grundlage für eventuelle Ersatzansprüche zu haben. Das Antwortschreiben werde dem Bauernverband in den nächsten Tagen zugehen, war in der Wehrbereichsbehörde zu erfahren. Es habe wegen der Komplexität der Materie etwas länger gedauert.
Bei der Wehrbereichsverwaltung zeigte man sich sehr erstaunt über die Klagen, habe man doch schon seit mehreren Jahren die vom Schutzbereichsgesetz verlangten positiven Bescheide des Kreises und der Gemeinden vorliegen. Der zuständige Sachbearbeiter im schleswig-holsteinischen Umwelt - und Naturschutzministerium, Boigs, bestätigte der „taz‘, daß im März 1987 ein Schreiben an den Kreis Nordfriesland, Amt Karrharde mit Bitte um Stellungnahme geschickt worden sei, aus dem die beabsichtigten Vollzugsmaßnahmen hervorgingen. In dem Schreiben sei ausdrücklich um eine Stellungnahme der betroffenen Gemeinden gebeten worden, und im darauffolgenden Juni haben die positiven Antworten vorgelegen.
Im Gemeinderat von Bramstedtlund weiß man allerdings nichts von einem solchen Schreiben, und aus den Gemeinderatsprotokollen geht nicht hervor, ob dieses Thema jemals zur Sprache gekommen ist. Der damalige Bürgermeister kann dazu nicht mehr befragt werden. Er starb Ende 1987 bei einen Autounfall.
Obwohl das Schutzbereichsgesetz aus dem Jahre 1956 verlangt, die wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Gemeinden zu berücksichtigen, bedeutet das in der Verwaltungspraxis nicht, daß auch die von den Maßnahmen im Endeffekt wirtschaftlich beeinträchtigten Bauern angehört werden. Sie stellt man vor vollendete Tatsachen. Vater Lorenzen ist trotzdem fest davon überzeugt: „Wenn es da etwas im Gemeinderat gegeben hätte, hätten wir das doch erfahren.“ Er fühlt sich von den Verantwortlichen bei der Bundeswehr hereingelegt. Jahrelang sei man in guter Nachbarschaft miteinander ausgekommen. Und jetzt so etwas.
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