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Keine Mehrheit im BundesratHartz-Bezieher müssen warten

Scheitert die Hartz 4-Reform wie erwartet im Bundesrat, fällt die Erhöhung zum Jahreswechsel aus. Das Vermittlungsverfahren beginnt am Montag.

Statt Signieren von Autogrammkarten steht der Vermittlungsausschuss an: Ursula von der Leyen. Bild: dapd

Die Bundesregierung bereitet sich auf das Scheitern ihrer umstrittenen Hartz-IV-Reform am Freitag im Bundesrat vor: Am Mittwoch hat das schwarz-gelbe Kabinett einen sogenannten Vorratsbeschluss zur sofortigen Anrufung des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Das Gremium soll am Montag zu seiner ersten Sitzung zusammenkommen, um möglichst schnell einen Kompromiss bei der Hartz-IV-Reform zu finden. Dass dies noch in diesem Jahr gelingt, ist höchst unwahrscheinlich.

Den von CDU und FDP regierten Ländern fehlt im Bundesrat eine Stimme, um den umstrittenen Gesetzentwurf durchzubringen. Die Neuregelung, die nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig geworden war, sieht die Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze für Erwachsene zum 1. Januar um 5 Euro auf 364 Euro monatlich vor. Zudem ist ein Bildungspaket mit Sachleistungen für Vereinsbeiträge, Zuschüsse zum Schul- und Kitamittagessen sowie zu Nachhilfestunden und Schulwandertagen geplant. Der Opposition ist das zu wenig.

Nach Auffassung von Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) kann die 5-Euro-Erhöhung erst nach der Verabschiedung des Gesetzes gewährt werden, die Hartz-IV-Empfänger müssen also auf die Erhöhung noch warten. Derzeit werde juristisch noch geprüft, ob Leistungen aus dem Bildungspaket bereits ab Januar abrufbar sein könnten, sagte eine Ministeriumssprecherin.

In jedem Fall könnten die Leistungen rückwirkend ausgezahlt werden. Bei der Erhöhung des Regelsatzes ist das kein Problem: Das zusätzliche Geld wird den Empfängern einfach nachträglich überwiesen, sobald das Gesetz in Kraft getreten ist. Schwierig wird es bei den Sachleistungen aus dem Bildungspaket, die beantragt werden müssen.

Die SPD und der Paritätische Wohlfahrtsverband forderten am Mittwoch, die Erhöhungen zum 1. Januar auszuzahlen. "Es darf nicht zu Lasten der Hartz-IV-Empfänger gehen, dass Arbeitsministerin von der Leyen dieses Gesetz so spät eingebracht hat", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann. Schließlich wolle keine Partei einen niedrigeren Regelsatz. Die SPD fordere eine "transparente, willkürfreie" Berechnung der Hartz-IV-Sätze.

Das sogenannte Bildungspaket könnte zum 1. Januar in Kraft treten, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider. Nachhilfe und Schulpaket seien bereits Gesetz und keine neuen Leistungen. Er kritisierte erneut die Neuberechnung der Regelsätze: "Was jetzt vorliegt, ist wieder mal ins Blaue geschätzt, ist kleingerechnet, um die Kosten halbwegs im Griff zu behalten." Nach Berechnungen des Wohlfahrtsverbandes müsste der Regelsatz auf über 400 Euro steigen. (mit dpa und epd)

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9 Kommentare

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  • VR
    Volker Rockel

    Was derzeit offensichtlich in der öffentlichen Diskussion völlig ausgeblendet wird: Die Höhe der Regelsätze betrifft nicht nur die ALG II Leistungsempfänger!- Die Regelsätze "der Grundsicherung im Alter" haben die gleiche Berechnungsgrundlage!

     

    D.h. wer als Mitbürger im Alter darauf angewiesen ist soziale Transfers erhalten zu müssen, weil sein Rentenanspruch nicht mehr ausreicht, erhält eine Grundsicherung adäquat zu der Höhe der ALG II Regelsätze!

     

    Faktisch wird jetzt also auch darüber entschieden, wer was nach Eintritt in die Altersrente erhält, wenn er auf eine "Grundsicherung im Alter" angewiesen ist!

     

    Vor dem Hintergrund, dass immer mehr Menschen aus dem Niedriglohnbereich in die Altersarmut fallen, also auf soziale Transfers angewiesen sind, hat die derzeit geführte politische Diskussion über die Regelsätze insoweit auch noch eine ganz andere Dimension!

     

    Eigentlich wäre es angemessen, wenn sich die Medien dem Thema "Regelsatzhöhe" auch aus der Perspektive der "Grundsicherung im Alter" annehmen würden. Interessanterweise tut das aber offenbar keiner?

  • H
    Hannes

    Dieses Jahr geht mit der größten Sparorgie seit Einführung von Hartz-IV zu Ende: In Zukunft werden Arbeitslose auch in der Rente zu bitterarmen Menschen, die sich wahrscheinlich aus der Mülltonne ernähren müssen, weil dank Riester die normale Rente schon drastisch sinkt.

    Und dann geht es angeblich um 5 EURO - das ist nur Augenwischerei. Es geht der SPD um ein soziales Image und die CDU/CSU vermuttet nicht ganz zuunrecht, das sie kaum Wähler bei Langzeitarbeitslosen haben. Nach einer tieferen Logik oder gar nach Lösungen schaut niemand und damit beginnen die Probleme und werden immer schlimmer.

    Es ist eine Lüge, dass Hartz-IV aus armutsfesten Sätzen besteht. In Wirklichkeit sinkt ALGII (Hartz) Jahr für Jahr, weil es nicht automatisch angepasst wird und weil schon die Inflation nicht korrekt berechnet wird, sie wäre höher, wenn das Verfahren an neue Gegebenheiten angepasst werden würde.

    Aber das passiert nicht, weil eine große Koalition in Wirklichkeit lange besteht: Arbeitslose und ihre Kinder und Angehörigen müssen eben die Zeche für eine seit Jahrzehnten verfehlte Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bezahlen.

    Wenn Olaf Scholz in 2011 die Wahlen in Hamburg gewinnt, wird die SPD so tun, als sei dies auch ein Erfolg der Agenda 2010 (also Hartz) und ihrer rechtslastigen Ausrichtung. Das muss sie wohl auch, denn seit der Agenda 2010 geht es bergab mit der Partei. Deswegen auch jetzt dieses soziale Getue und diese Schuldzuweisungen. Ohne Gerhard Schröders SPD wären die Deutschen nicht so schnell und so hart verarmt. Das ist die Wahrheit, die dahinter steckt.

  • U
    upupintothebluesky

    Es wird immer nur über die 5-Euro-Erhöhung des Regelsatzes für Erwachsene berichtet.

     

    Kaum jemand nimmt zur Kenntnis, dass der Regelsatz für Kinder und Jugendliche um 5 Euro GEKÜRZT wird.

     

    Es wird zwar der jetzige Betrag des Regelsatzes mit der Begründug "Vertrauensschutz" weiter ausbezahlt.

     

    ALLERDINGS wird die jährliche Erhöhung solange AUSGESETZT bis der "Abschmelzungsbetrag" in Höhe von 5 Euro erreicht ist.

  • S
    SteffenF.

    Ach die liebe SPD, vor den Wahlen mal wieder ihr Herz entdeckt.

     

    Urheber dieses Drecksgesetzes an dem diese Gesellschaft krankt, bisher erfolgreich alle Verbesserungsmaßnahmen von der Linken eingebracht sabotiert und jetzt hier den ganz billigen Wahlkampf machen.

     

    Und in der Regierung erinnert man sich nicht mehr an seine Versprechen, dann lehnt man ganz "staatspolitisch verantwortlich" ab ....

     

    Und die echten H4-Gegner werden hier totgeschwiegen.

     

    Ein korruptes und verlogenes System hier.

  • M
    Musa

    Der Regelsatz wurde bereits erhöht, insoweit ist die Aussage... "dann müssen sich die Empfänger noch gedulden"... völlig falsch! Auch sonst würde der Empfänger nicht verhungern!

  • A
    Anarkist

    Sehnsuchtsvoll warten alle Hartz IV Bezieher auf 5 € pro Monat mehr.

    Liest sich wie in der FAZ.

  • G
    Gandalph

    Was ist mit den Rentenbeiträgen?

  • GS
    Gert Selling

    Ja schönen Dank auch, liebe taz: "Hartz-Bezieher müssen warten" - genau, sie müssen doch tatsächlich auf die Verschärfungen warten, die sich die Bundesregierung mit fünf Euro mehr pro Single erkaufen will. Die Erwerbslosen haben sowas von die Schnauze voll von dieser Verarsche. Es sind bereits konkrete Aktionen geplant, wird gemunkelt. Darunter das Verbrennen dieses Geldes, die Nutzung als Toilettenpapier und auch Centweise Rücküberführung an ein ausgesuchtes Bundesministerium. Wäre ja mal toll, wenn die taz, statt auf die Geld-Welle aufzuspringen, über die gesetzlichen Zumutungen berichten würde, die im Schlepptau durchgeboxt werden sollen. Wendet euch doch mal an "Tacheles Sozialhilfe" oder das "Erwerbslosen Forum Deutschland", die können detailreiche Informationen geben.

  • B
    Bert

    Ich hoffe es bleibt erstmal dabei das das Geld nicht ausgezahlt wird. Nicht das die Oppositionsparteien hinterher versuchen der Regierung ans Bein zu pissen weil die Erhöhung illegal ist. Es ist schon vernünftig das solche wichtigen Gesetze ohne Mehrheit nicht durchgesetzt werden können. Schlussendlich geht es um das Geld der Steuerzahler!