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„Keine Lider keine Haut“

■ Heute abend liest Anne Duden im Rahmen der Literatour Nord in Hamburg – auch aus ihrem neuesten Buch „Wimpertier“

Sie wandelt auf den Pfaden des Dunklen, Schmerzvollen, im Schatten der Psyche und der Träume forschend: Anne Duden, die poetische und humorvolle Erzählerin des Unaussprechlichen.

In ihrem neuen Band Wimpertier jedoch hat sie sich derart festgebissen in der Innenwelt der Alpträume, daß die Erzählungen wiederholend und ermüdend wirken. Vom „Fleischlaß“ bis zur „Jagd nach schönen Gefühlen“, von der „Fassungskraft“ bis zum „Herzweh“ steigern sich die Geschichten in einer sich anhäufenden Elendsbeschreibung, deren Leidensursprung dem Leser leider vorenthalten bleibt. Daß die erzählende Person von Schmerzattacken heimgesucht und ihre Eingeweide geschüttelt werden, daß ihr die Haare ausfallen und im Traum der Kopf abgeschlagen wird: All diese Schilderungen aus dem Reich des Antonin Artaud kennen wir schon.

Auch der Stil überzeugt nicht mehr. Ihre grummelnden und schillernden Wortkaskaden, die einem sonst erfrischend ins Gesicht platschten oder den Verstand hinunterkullerten: Wie durch eine Schleuder gejagt, schlagen jetzt die immergleichen Wortfelder an das Gehör und trocknen – sonderbar, da sie doch alle einem feuchten Ursprung entstammen – dabei aus. Selten flackert ein Witz auf, wie etwa in der Beschreibung der Außenwelt am 24. Dezember, wenn inmitten der aufgetürmten Einkaufstüten Männer lässig mit auf dem Bürgersteig hinterlassenen Rotzklumpen beweisen, „daß auch sie Schleimzonen haben, auch sie überströmen könnten“. Wann immer die Duden Stoff von außen hat, wird sie auf die spritzige Art melancholisch, die ihre Erzählweise so unverwechselbar macht.

Die Erzählung „Wimpertier“ ist dann von gewohnter Qualität: Poetisch beginnt die farbige Zeichnung einer Tageszeit, schon rückt ein quälender Schmerz wieder nahe, doch jetzt durchsetzt mit der Schilderung von Erlebnissen aus der Kindheit. Die Geschichten beginnen sich zu überlappen: Das Mädchen, das seine Mutter tot fürchtet, der Schrei aus dem Nebenzimmer – war es ein Schmerzes- oder ein Lustschrei? –, die Schilderung einer brutalen Geburt. Hier wissen die Leser etwas, Bruchstücke nur, doch fügt es sich zu einem unheimlichen, mehrdeutigen Ganzen zusammen.

Einen Juwelen gibt es dann doch in dem neuen Band: Das Gedicht „Sphinx – Hinter Gittern“, inspiriert durch ein Gemälde von Francis Bacon, und da ist die Duden wieder in ihrem Element. Hier stimmt der Rhythmus, hier tut sich das Bild – der Schacht als die Stadt – wirklich auf, hier stehen einem die Haare zu Berge im Prozeß der Erstattung, die die lebende Sphinx durchmacht, „bevor der Sand wieder einlief / und das nächste Jahrtausend oder ähnliches / gleichmäßig zu rieseln begann.“

Gabriele Wittmann

Anne Duden: „Wimpertier“, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 117 Seiten, 32,– Mark. Lesung heute 19.30 Uhr in der Heinrich-Heine-Buchhandlung, Schlüterstraße

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