: Keine Frage nach dem Sinn der Strafe
■ Acht Monate auf Bewährung wegen Tötung aus Liebe
Die Staatsanwaltschaft hatte die Sache von vornherein nicht so hoch gehängt; wenn aber jemand seine schwer krebskranke Frau tötet – auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin –, kommt es dennoch später zum Prozeß. „Die Gesetze lassen es nicht anders zu“, bedauerte gestern selbst der zuständige Amtsrichter. Der angeklagte 33jährige Schiffselektriker hatte seine langjährige Gefährtin in einer Januarnacht erwürgt und ihr die Kehle durchtrennt. Dann nahm er sie für die letzten Momente ihres Lebens in die Arme und wartete, bis sie starb. „Ich habe überhaupt keine Lust mehr“, soll sie ihn gebeten haben, „mach' meinen Schmerzen ein Ende.“ Auch der Nachbarin gegenüber soll die 45jährige nur noch einen Wunsch geäußert haben: zu sterben.
Die Qualen, die ihr die schmer-zende rechte Körperhälfte bereitete, müssen für die Frau an jenem Wochenende schier unerträglich gewesen sein. Die 45jährige hatte ein bösartiges Geschwür, dem weder Chirurgen noch Chemotherapeuten oder Strahlenärzte beizukommen wußten. Ihr Zustand verschlechterte sich zusehends. Eine Ärztin legte ihr dar, daß aus Sicht der Medizin nichts mehr unternommen werden konnte. „Die Patientin hätte jeden Tag, jede Woche sterben können“, sagte die Medizinerin gestern vor Gericht.
Dem Angeklagten, der im Gefängnis saß, war Haftunterbrechung gewährt worden, damit er sich um seine Frau kümmern konnte. Das Paar hatte inzwischen auch geheiratet. Die 45jährige wollte auf keinen Fall wieder ins Krankenhaus. Der Angeklagte pflegte und betreute sie. Als noch Hoffnung für seine Frau bestand, hatte er gar ein Juweliergeschäft ausgeraubt. Mit dem Erlös der Beute wollten sie in den USA nach neuen Krebstherapiemöglichkeiten suchen. „Sie hatten ein tolles Verhältnis zueinander“, beschrieb eine Nachbarin die Ehe der beiden.
Der Angeklagte wurde gestern wegen Tötung auf Verlangen zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. „Die Frage nach dem Sinn einer Strafe dürfen Sie uns nicht stellen“, schloß der Amtsrichter, der das Urteil offensichtlich nur ungern sprach. Paula Roosen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen