Keine Eile beim Atomausstieg: Ein Spiel auf Zeit
Vattenfall hat noch immer keine Konzepte zur Stilllegung der Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel vorgelegt. Grüne und Robin Wood kritisieren Sicherheitsrisiken.
HAMBURG taz | Für den Atomausstieg in Schleswig-Holstein gibt es keinen Plan: Zum Abriss der beiden Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel habe sich Betreiber Vattenfall "gegenüber der Atomaufsicht bislang noch nicht erklärt". Das hat jetzt die Landesregierung in Kiel auf zwei Anfragen der grünen Landtagsabgeordneten Detlef Matthiessen und Bernd Voß mitgeteilt. Bislang habe zu dem Thema erst ein "Grundsatzgespräch" zwischen der schleswig-holsteinischen Atomaufsichtsbehörde und Vattenfall im September 2011 stattgefunden. "Wesentliches Ergebnis war, dass Vattenfall sich gegenwärtig in einer Planungsphase befindet", teilt die Landesregierung lediglich mit.
Und eben das findet Matthiessen "skandalös". Die CDU-FDP-Regierung in Kiel "übt keinen Druck auf Vattenfall aus", so seine Erkenntnis. "Offensichtlich hat der Konzern keine Eile, seine Atomkraftwerke zurückzubauen, und die Landesregierung sieht tatenlos zu", sagt Matthiessen. Damit der Rückbau zügig beginnen könne, müssten die Details des Vorgehens rasch geklärt werden. "Wir erwarten, dass sehr schnell die Konzepte dafür auf den Tisch gelegt werden."
Die beiden Atomreaktoren an der Unterelbe stehen seit Sommer vorigen Jahres gemäß den Atomausstiegsbeschlüssen des Bundestages still. Abgeschaltet sind sie nach Kurzschlüssen und dem Brand von Transformatoren bereits seit Juni 2007 (siehe Kasten). Seitdem waren sie für rund 700 Millionen Euro repariert und nachgerüstet worden - Investitionen, die aufgrund der verkündeten Energiewende in Deutschland nunmehr sinnlos sind.
Die beiden Vattenfall-AKWs in Schleswig-Holstein:
Brunsbüttel: Siedewasserreaktor. Leistung: 806 Megawatt (MW). Betreiber: Vattenfall, Partner: Eon. Inbetriebnahme: 9. 2. 1977. Stilllegung laut Atomkonsens von 2001: 2013. Laufzeitverlängerung laut Beschluss der Bundesregierung von 2010: 2020. Außer Betrieb laut Atomausstieg von 2011 seit: 5. August 2007.
Krümmel: Siedewasserreaktor. Leistung: 1.402 MW. Betreiber: Vattenfall, Partner: Eon. Inbetriebnahme: 28. 3. 1984. Stilllegung Atomkonsens: 2021. Laufzeitverlängerung: 2033. Außer Betrieb seit: 5. August 2007.
Für den Abbau der Meiler haben die Betreiber Rückstellungen in ihren Bilanzen ausgewiesen. Diese betrugen nach Angaben der Kieler Atomaufsicht Ende 2010 für Krümmel 1,857 Milliarden Euro, für Brunsbüttel 1,602 Milliarden Euro. Ob diese Beträge ausreichen für den Abriss und die sichere Endlagerung der atomaren Brennstäbe und des radioaktiven Abfalls, vermag sie aber nicht zu beurteilen. Das sei "von einer Vielzahl von Einflussfaktoren abhängig und deshalb nur sehr schwer exakt einschätzbar", so die Aufsichtsbehörde. Eine Vergleichszahl aber nennt die Atomaufsicht: Für den Rückbau des Atomkraftwerks Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern, das nach der Wiedervereinigung stillgelegt worden war, seien "von 1995 bis heute mehr als drei Milliarden Euro aufgewendet" worden. Vattenfall war am Sonntag zu keiner Stellungnahme in der Lage, stellte diese aber für den heutigen Montag in Aussicht.
"Erhebliche Sicherheitsrisiken" sieht Dirk Seifert, Energiereferent der Umweltorganisation Robin Wood. Alles hoch radioaktive Material müsse schnellstens aus dem Reaktor und den wassergefüllten Abklingbecken geholt werden, fordert er. Dann könnten die Kühlsysteme abgeschaltet werden: "Das wäre der erste Schritt hin zu deutlich mehr Sicherheit", meint Seifert.
Im Reaktordruckbehälter des Meilers Brunsbüttel befinden sich nach Angabe der Atomaufsicht noch 523 atomare Brennelemente, in Krümmel sogar 840. Hinzu kämen in Lagerbecken des AKW Brunsbüttel 150 radioaktive Brennelemente, in Krümmel sogar 406. Für deren Verwahrung oder Transport wären mindestens 37 Castorbehälter mit einer Kapazität von jeweils 52 Brennelementen erforderlich. 25 Castoren sind an den beiden Standorten vorrätig, das restliche Dutzend müsste neu hergestellt werden.
Das aber, sagt Seifert, "ist der Kern des Problems". Erst wenn Vattenfall neue Castorbehälter in Auftrag gebe, "kann vom realen Einstieg in den Ausstieg die Rede sein". Das Auslagern der Brennelemente in Castoren müsse klare Priorität haben, um das Risiko zu reduzieren. Damit zu warten, bis ein vollständiges Konzept für die Stilllegung der Reaktoren vorliege, sei ein unverantwortliches Spiel auf Zeit.
Dieses soll aber nicht unendlich währen. Vattenfall wolle der Landesregierung nach deren Angaben bis Ende März "konkretisierte Planungsüberlegungen" für den Rückbau von Brunsbüttel und Krümmel vorlegen. Das werde, sagt Matthiessen von den Grünen, "auch höchste Zeit".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen