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■ IFA-SplitterKeine Ehrfurcht vor gekachelten Boxen

„Konjunkturbarometer nennen die Verantwortlichen insgeheim diese Messe“, weiß Ulrich Schulze insgeheim (und publiziert auch gleich) im Tagesspiegel. Herr Krähe und ich bleiben lieber bei dem Terminus IFA, wären aber auch bereit, uns auf die Bezeichnung „Ansammlung von ca. 26 turnhallengroßen Hertie-HiFi- Abteilungen mit rummelplatztosender Bierzeltatmosphäre und Gundis Zambo“ zu einigen. Wobei wir deren provisorischen Charakter keineswegs verhehlen möchten, schließlich fehlt der Verweis auf die ständigen Propaganda- Veranstaltungen sämtlicher TV- Sender und auf Michael Schanze, der endlich seine Erfüllung findet bei „Kinderquatsch (sic!) mit Michael“. Keine Gnade dagegen findet vor unseren Augen die Definition „medienwirksamstes Ereignis der Welt“, mit der Schulze sich endgültig Einlaß in den Förderkreis für Superlative verschafft.

Einlaß zur Messe hingegen hat sich Herr Kirikara, Electori Inc., Japan verschafft. Wenn die Funkausstellung wirklich ein Konjunkturbarometer ist, gehen wir schweren Zeiten entgegen: Während Herr Krähe und ich voll Wut und Scham vor einem Gerät verharren, das Dutzende von CDs nicht nur munter durcheinanderwirbelt, sondern sich auch von selbst eine aussucht und abspielt, steht Herr Kirikara vor dem Wunder und lächelt herablassend. Dem Mann, der als Japaner in der Branche gern führend ist, können nicht einmal gekachelte Lautsprecher oder Fernseher aus Holz imponieren.

Um uns von diesem Schock zu erholen, begeben wir uns fluchtartig in den ZDF-Pressetreff und trösten uns an der unveränderten Spitzenstellung einiger im Lande gebrauter Biere. Auf dem Rückzug aus den bildschirmüberfluteten Hallen in die wirkliche Welt haben wir noch das Glück, Gundis Zambo über den Weg zu laufen. Sie erkennen, unbedingte Ehrfurcht heucheln und um ein Autogramm bitten, sind eins. Nachdem sie ein dickes Herz auf ihre vorgedruckten Autogrammkarten gezeichnet hat, können wir ihr mit dem vorwurfsvollen Ausruf „Sie sind ja gar nicht Sabine Sauer!“ den Tag versauen. Ist doch auch was.Martin Sonneborn

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