Keine Chance für Projekt Hafenstraße

■ An den ehemals besetzten Häusern der Hamburger Hafenstraße haben sich die Hardliner beider Seiten optimal ergänzt

Politisch scheint die Hafenstraße erledigt. SPD wie FDP sind sich einig, das Wohnprojekt an der Hafenstraße schnellstmöglich zu beenden. Gründe dafür gibt es viele, nicht zuletzt den Profilierungswillen des Bürgermeisters Henning Voscherau. Doch auch die Hardliner in den Häusern haben so reagiert, wie die Provokateure im Senat es erwarteten

Das Wunder hatte nicht lange Bestand. Nur 17 Monate nach der spektakulären Vertragsunterzeichnung, vom damaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) gegen den Widerstand fast seiner gesamten Partei und mit Hilfe eines Rücktrittsversprechens durchgesetzt, erklärt der jetzige Regierungschef Henning Voscherau (SPD) das Wohnprojekt Hafenstraße für gescheitert - die Kündigung wurde zwar noch nicht ausgesprochen, doch das dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein. Innensenator Werner Hackmann (SPD) spekuliert sogar schon öffentlich über die Räumung.

Seit Vertragsabschluß, und besonders seit dem Amtsantritt von Voscherau im Juni letzten Jahres ist die Hafenstraße aus den Schlagzeilen der Hamburger Presse nicht herausgekommen. Kein Wunder: Die noch von Dohnanyi angestrengte Normalisierung der Verhältnisse bekam nie eine echte Chance. In verschiedener Hinsicht fühlten sich die Bewohner unter Druck gesetzt, und mit unüberlegten Aktionen lieferten sie den Hardlinern in SPD und Senat die Argumente frei Haus. Hatten SPD-Politiker den Vertragsabschluß noch zähneknirschend hingenommen, verpaßten sie später keine Gelegenheit, den Entspannungsprozeß zu behindern. Etwa so: Vertraglich vereinbarte Zahlungen für die Renovierung der Häuser wurden im Haushaltsausschuß der Bürgerschaft gesperrt.

Daß die rund 100 Bewohner als Kollektiv am Hafenrand unerwünscht sind, bekommen sie bis heute täglich, rund um die Uhr, zu spüren. Wissenschaftler wie der renommierte Kriminologie-Professor Fritz Sack erläutern ihren Studenten die Stigmatisierungstheorie mittlerweile gerne am Beispiel der Hafenstraße. Wo die Polizei ständig patrouilliert, bleibt die Wirkung bei den Observierten zwangsläufig nicht aus. Nach Kriminologen-Meinung kann es auch die zum Teil hochpolitisierten Hafenstraßen-Bewohner nicht kalt lassen, durch die stete Polizeipräsenz zu notorischen Straftätern abgestempelt zu werden. Die begründete Furcht, Haßobjekt von rechtsgerichteten Fußballfans und Neonazis aller Schattierungen zu sein, steigerte die Unruhe zudem.

Unter diesen Umständen gelang es den Bewohnern nicht, gelassen auf die Polizeipräsenz zu reagieren. In einer jetzt herausgegebenen Erklärung des Bewohner-Plenums ist vom „alltäglichen Terror“ der Polizei die Rede, die Beamten hätten gar einen „Zermürbungskrieg“ gegen die Hafenstraße geführt. Als Folge dieses Klimas konnten sich Autoknacker, die mit der Hafenstraße nichts zu tun haben, dem Zugriff der Fahnder immer dann entziehen, wenn sie in der Nähe der bunten Häuser laut um Hilfe schrien. Zu welcher Tages- oder Nachtzeit auch immer: In Minutenschnelle strömten bis zu 50 Personen aus den Häusern, zwangen die Polizisten zum Rückzug. Unter den Bewohnern ist dieses Verhalten zwar nicht unumstritten, auf eine Regelung konnte man sich jedoch nicht einigen.

Vorfälle dieser Art ziehen stets ein Trommelfeuer der Hamburger Lokalpresse nach sich. Besonders die Blätter des Axel-Springer-Verlages, sie dominieren den Zeitungsmarkt an der Elbe, produzieren aus dem kleinsten Zwischenfall einen Aufmacher. Von den Zeitungsständern der Kioske brüllt es: „Tun Sie was, Herr Voscherau!“ oder „Reicht das noch immer nicht?“

Henning Voscherau kommen solche Schlagzeilen nicht ungelegen. Der Notar und frühere SPD-Fraktionsvorsitzende ist seit jeher ein Gegner des Wohnprojektes, und der Hamburger Wirtschaft versprach er schon im vergangenen November, mit dem Problem Hafenstraße nicht mehr in den nächsten Wahlkampf (1991) zu ziehen. Dabei geht es Voscherau nicht nur um die Beseitigung des „rechtsfreien Raumes“, wie die Hafenstraße seit Beginn an von der oppositionellen CDU bezeichnet wird. Wer die Hafenstraße räumt, kann bei der nächsten Wahl mit einer absoluten Mehrheit rechnen. Und mit dem Erringen dieser Mehrheit könnte Voscherau endlich aus dem Schatten seines Vorgängers Klaus von Dohnanyi treten.

Das Thema Hafenstraße eignete sich in der Vergangenheit zudem dafür, sich gegenüber dem Koalitionspartner FDP zu profilieren. Denn: Sowohl der Zweite Bürgermeister Ingo von Münch als auch der FDP-Vorsitzende Robert Vogel hatten die Vertragslösung Klaus von Dohnanyis vehement unterstützt. Und wenn der sozialliberale Senat im vergangenen Jahr, fast wöchentlich, über die Hafenstraße diskutierte, plädierte Staatsrechtler von Münch oft als einziger für ein besonnenes Verhalten. Währenddessen versuchte Innensenator Werner Hackmann (SPD), Stimmung zu machen. So wurden den Regierungsmitgliedern kiloschwere Dokumentationen über Straftaten im Bereich Hafenstraße vorgesetzt. „Das sieht erst mal ziemlich schlimm aus“, erinnert sich ein SPD -Senator gegenüber der taz, „doch wenn man die Fälle genau betrachtet, läßt sich fast nie ein konkreter Bezug zu den Bewohnern herstellen.“ Die FDP gibt dem Druck jetzt nach. Auf dem heutigen Landesparteitag wird eine Erklärung verabschiedet werden, in der das Projekt Hafenstraße als gescheitert bezeichnet und der Senat zur schnellstmöglichen Beendigung des Wohnmodells aufgefordert wird.

Im Senat umstritten war auch die Arbeit der Lawaetz -Stiftung, die bis Februar als Verpächterin der bunten Häuser fungierte. Für Voscherau war es ein stetes Ärgernis, Lawaetz gegenüber keine Weisungsbefugnis zu haben. Als der Stiftungsvorstand einen Abmahnungswunsch Voscheraus (nach gründlicher juristischer Prüfung) in den Papierkorb warf, hatte der Regierungschef die Nase voll. „Wenn der Senat für alles in der Hafenstraße die Verantwortung trägt, dann muß dafür auch ein rechtliches Instrumentarium geschaffen werden“: Mit dieser Begründung kegelte Voscherau die Lawaetz -Stiftung, sie hatte sich nie um die Übernahme der Häuser gerissen, aus dem Hafenstraßen-Verhältnis hinaus. Für den Stiftungsvorstand, der in der Presse als Sündenbock herhalten mußte, hatte Voscherau zuletzt nur noch Hohn übrig.

Der Lawaetz-Stiftung folgte die städtische „Hafenrand GmbH“, die seit Beginn dieser Woche geschäftsfähig ist. Sie untersteht der Verantwortung von Voscheraus rechter Hand, der Rathaussenatorin Elisabeth Kiausch (SPD) und wird von einem alten Hafenstraßen-Bekannten geleitet: Wolfgang Dierksen hatte als Justitiar der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Saga schon mit der Hafenstraße zu tun, als die Häuser noch von diesem Unternehmen verwaltet wurden.

Voscherau verfügt jetzt über das rechtliche Instrumentarium, der Hafenstraße ein Ende zu bereiten. Er wird sich dafür allerdings (siehe Kasten) sehr viel Zeit nehmen müssen. Sein ursprünglicher Wunsch, die ungeliebten Bewohner schon bis zum Beginn der Feierlichkeiten zum 800.Hafengeburtstag ab Mai vertrieben zu haben, hat sich jedenfalls nicht erfüllt.

Axel Kintzinger