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Keine Baggerpause - Geschichte wird entsorgt

■ Auf dem Börneplatz in Frankfurt gehen die Bauarbeiten weiter / Gelände wurde mit Blechmauer und Stacheldraht abgeschirmt / Abtragung des Judenghettos fast beendet / Grüne uneinig /BebauungsgegnerInnen ermüdet

Aus Frankfurt Ralf Volk

Die Stadtwerke und eigens dafür bestellte Bauarbeiter haben die Judengasse am Börneplatz hinter eine Mauer verbannt und zudem mit Stacheldraht abgesichert. Er soll Bauarbeiter und die umstrittene Baustelle vor den Blicken neugieriger Passanten und vor neuen Besetzungsaktionen schützen. Auf der kahlen „Blechmauer“ ist zu lesen, was den Frankfurter BürgerInnen dabei in den Sinn kommt: „Glasnost“, „Restrisiko Geschichte“ und „Geschichtsentsorgung“. Sicherheitsbeamte der Wach– und Schließgesellschaft patrouillieren auf dem Gelände und kontrollieren die Ein– und Ausfahrten. Um den erhöhten Personalbedarf zu decken, wurden fertige Abiturienten zum Baustellenschutz angeheuert. Auf der anderen Seite der „Schandmauer“ observieren Polizeibeamte derweil das umliegende Gelände. Hin und wieder steht auch einer von ihnen am Infostand des Bündnisses „Rettet den Börneplatz“ und liest interessiert die akribisch gesammelten Zeitungsausschnitte. Die drei Bäume, unter denen der Stand aufgebaut ist, reichen kaum noch aus, um alle Presseveröffentlichungen anpinnen zu können. „Mit dem Bauzaun hat sich OB Bruck eine zweite Startbahn West geschaffen“, urteilt ein jüngerer Polizist, nachdem er seine Lektüre beendet hat. „Friede herrscht am Bauzaun, relativer zumindest“, sagt ein Mitglied des Aktionsbündnisses zur Lage. Rund 80 Leute kämen täglich vorbei, um sich zu informieren. Hin und wieder würfen sie einen Blick über die Mauer des angrenzenden jüdischen Friedhofs, zu sehen ist nur wenig. Die Ortskrankenkasse hat ihre Filiale gegenüber der Baustelle wegen der vielen Menschen vor dem Zaun geschlossen. Hektik herrscht jedoch nur auf der anderen Seite der Mauer. Bagger wühlen in einem tiefen Bauloch und verladen Steine der ehemaligen Judengasse auf Lastwagen. Auf einem Bauhof sollen sie gesammelt werden. Daß dieses Puzzle später wieder zusammengesetzt werden kann, ist schwer vorstellbar, zumal, wie es ein Passant ausdrückt, „der Bagger sowieso schon alles klein gemacht hat“. Vollendete Tatsachen sollen möglichst schnell jede weitere Forderung nach einem Baustopp erübrigen. Einige Häuser sind schon völlig planiert, die ersten Betonfundamente für den Stadtwerkeneubau stehen an ihrer Stelle. Weitere Fundamente der Judengasse sind durch die Bagger stark beschädigt. Lediglich vier Häuser und ein jüdisches Kultbad sollen später in einer Ausstellungshalle aufgebaut werden. „Unser Ziel ist, alles so zu erhalten, wie es vorgefunden wird“, sagt die grüne Stadtverordnete Manon Tuckfeld zu den Zielen des Bündnisses. Was dann mit den Ausgrabungen passieren soll, darüber ist vorgestern bei den Grünen ein Streit ausgebrochen. Ein „Antifaschistisches Zentrum“ oder ein „Dokumentations zentrum über Antijudaismus“ wollen die einen, andere wollen alles so lassen wie es ist: „Das Gras“, das darüber wächst, „säet sich von alleine.“ Viel Zeit bleibt kaum noch. Auch der letzte Teil mit dem Hospital, den Kulturdezernent Hilmar Hoffmann letzte Woche noch erhalten wollte, wird in den nächsten Tagen abgebaggert. „Damit erübrigt sich der ganze Wirbel um den Erhalt der Mauerreste“, stellte Michael Brumlik von der Jüdischen Gruppe fest. Einen kühnen Kompromiß hat der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Ignatz Bubis vorgeschlagen: „Es soll alles am Ort bleiben“, nur sollen die ausgegrabenen Fundamente „um etwa zehn Meter nach Norden verschoben werden.“ Dort verläuft zur Zeit eine große Durchgangsstraße. Brumlik bezeichnet das als „Unfug“, mit dem die Jüdische Gemeinde verdecken wolle, daß sie nach wie vor zu den Baubeschlüssen des Magistrats stehe. Vor drei Jahren hat die Gemeinde als Eigentümerin des angrenzenden Friedhofs dem Stadtwerkeneubau zugestimmt. Die BebauungsgegnerInnen werden langsam müde. Nur wenige finden sich noch zum Schichtwechsel am Infostand ein. Die Bagger ruhen jedoch nicht: kubikmeterweise schaffen sie andere Fakten. Für Michael Brumlik etwa ist die Aktion Börneplatz „zu einem objektiven Ende gelangt. Weitere Aktionen sind nicht mehr meine Aufgabe, denn dieser Weg ist verfehlt.“ Nachdem jetzt ein wichtiger Teil Frankfurter Geschichte weggebaggert sei, solle über eine geschichtspolitische Konzeption für die Stadt nachgedacht werden. Im Mittelpunkt des Interesses stehe dabei die Gedenkstätte für die Reichskristallnacht an der Friedberger Warte. Diese steht auf einem Militärbunker, der nach dem Zivilschutzkonzept der Bundesregierung reaktiviert werden soll. Darin sind sich die Jüdische Gruppe und die Jüdische Gemeinde einig: „Es ist skandalös und geschmacklos, wenn auf einem kriegstauglichen Militärbunker ein jüdisches Mahnmal steht.“

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