: Keine Autos in Neubrandenburg
■ Grüner Aktionstag als erster autofreier Sonntag / Dezentralisierung erweist sich als Fehlplanung Initiativen für Tempolimit und Verkehrsberuhigung / Die Stadt soll Fahrradhochburg werden
Neubrandenburg (taz) - Sonntag, 20. Mai 1990. Die Stille in der Stadt ist beängstigend und beruhigend zugleich. Erstmals seit langer Zeit geben wieder die Vögel den Ton an. Leider nur für einen Tag. Autofreier Sonntag...
Die F 96 wurde in Neubrandenburg direkt an der historischen Wall-Anlage entlanggeführt und bildet somit einen Ring um die Stadt. Was über Jahrhunderte erhalten wurde, stirbt jetzt ab - 800jährige Eichen, die grüne Lunge der Stadt. Und noch etwas erweist sich jetzt als totale Fehlplanung: die Dezentralisierung der Stadt. Neue Wohngebiete entstanden in unmittelbarer Nähe von Industriestandorten, außerhalb der Stadt. Zu wenige Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants, Klubs und ähnliches nötigen die Einwohner mindestens einmal in der Woche, in die Innenstadt zu fahren. Am bequemsten ist die Entfernung mit dem Auto zu bewältigen.
So ist die Stadt nicht nur durch den Urlauber- sondern auch durch den eigenen Verkehr enorm belastet. Seit Jahren mühen sich Innenstädter um eine vernünftige Regelung. In das kommunalpolitische Loch, das mit der Bekanntgabe des Wahltermins entstand (die Alten bremsten erfolgreich, was die Neuen anschoben), fielen auch die Konzepte für eine Innenstadtberuhigung. Erst jetzt nach dem 6. Mai boten das Amt für Verkehrsplanung, der Stadtverkehr und die Grüne Partei Varianten zur Diskussion an. Die Grüne Partei und die Grüne Liga hatten aber schon zuvor 30 Prozent der Innenstadtbewohner nach deren Lösungsvorschlägen befragt. Der größte Teil sprach sich für eine teilweise Sperrung der Innenstadt für den Autoverkehr aus. Der 20. Mai, von Grüner Partei und Grüner Liga als autofreier Sonntag ausgeschrieben, bot sich als Aktionstermin förmlich an. Doch die Grünen der Stadt wollen noch massiver Druck ausüben. Sie sperrten am Samstag in der Hauptverkehrszeit - zwischen 9.00 und 10.00, wo der Wochenendeinkauf ansteht - die Innenstadt für den Autoverkehr ab. Den zum Teil wütenden, verärgerten, aber auch interessierten Autofahrern wurden Zettel in die Hand gedrückt, auf denen die Vorstellungen der Grünen nachzulesen waren: teilweise Sperrung der Innenstadt, Ausbau der Parkmöglichkeiten in Zentrumnähe, Verbesserung des Radwege- und Nahverkehrsnetzes, Nulltarif und Tempolimit 30 (teilweise schon Realität). Vorstellbar für die Grünen wäre, die Stadt zu einer Fahrradhochburg zu gestalten. Denn es muß ja nicht nur die Marktwirtschaft sein, „was Lübeck kann, können wir auch“. Und Münster erst, ein Meer von Fahrrädern.
Heike Sommer
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