: Keine Angst um alte Sorten
■ betr.: „Union dörrt Europas Obst gärten aus“, taz vom 15.1.94
[...] Daß die Namen Goldrenette v. Blenheim, Berlepsch, Goldparmäne und Bosc's Flaschenbirne falsch geschrieben waren, ist ja noch verzeihlich. Haarsträubend aber ist es, daß der 1943 in den USA gezüchtete und 1980 dem Handel übergebene Jonagold angeblich grün geerntet wird und dann im Lager nachreifen soll. In der Tat müssen Äpfel kurz vor der Genußreife geerntet werden, da sie in den heute üblichen gasdichten Lagern mit kontrollierter Atmosphäre leicht nachreifen.
Zum grundsätzlichen obstbaulichen Wissen gehört es, daß die Wuchsstärke eines Baumes von der Unterlage bestimmt wird, das heißt, ich kann auch einen Jonagold auf eine Sämlingsunterlage veredeln und einen Hochstamm daraus machen oder umgekehrt einen Berlepsch auf die Typenunterlage M 9, womit ich einen zirka 2,5 Meter hohen Spindelbusch bekomme. (Um an dieser Stelle mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufzuräumen: Die natürliche Wuchsform eines Apfels ist ein mehrstämmiger Busch, der Hochstamm ist eine künstliche Baumform, die aufgrund der Weidendoppelnutzung entwickelt wurde!)
Der Erfolg des Jonagold ist vor allem auf drei Dinge zurückzuführen: das attraktive Äußere, den guten Geschmack und die hohe Ertragsleistung. Unwichtig war in den letzten Jahrzehnten die Krankheitsanfälligkeit der Sorten, da ein entsprechendes Arsenal von Pestiziden zur Verfügung steht. So ist auch der Jonagold für den ökologischen Anbau eher ungeeignet, da er sehr schorfanfällig ist. Dies gilt aber ebenso für etliche der alten Sorten, zum Beispiel ist die erwähnte Gute Luise extrem schorfanfällig. Und ob ein Apfel einen Wurm beherbergt, hängt fast überhaupt nicht mit der Sorte zusammen. (Höchstens Äpfel mit einer ganz dicken, wachsigen Schale werden weniger besucht.)
Auf jeden Fall hat „die EU“ so gut wie keinen Einfluß darauf, welche Sorten angepflanzt werden. Daß die Verbraucher nach den schönen, makellosen und wohlschmeckenden Früchten greifen, davon kann auch jeder direktvermarktende Ökobauer ein Lied singen. Und der moderne Geschmack verlangt eher die süßen Äpfel.
Wirklich ärgerlich ist nur ein von der EG (in Übereinstimmung mit Verbraucherverbänden) erlassenes Vermarktungsverbot für kleinfruchtige Äpfel, das der Regulierung von Übermengen dienen soll und einige ältere und unbedeutende Sorten betrifft. Solange aber den Obstbauern ihre Übermengen zu (sehr niedrigen) Garantiepreisen abgenommen und interveniert werden, so lange werden die Obstbauern keinen Anlaß sehen, weniger Jonagold und andere marktgängige Sorten zu pflanzen.
Die Zukunft aber liegt in Krankheitsunanfälligen oder – resistenten – Neuzüchtungen, die seit einigen Jahren auch in der Praxis erprobt werden und die nun in einer fast unübersehbaren Zahl auf den Markt drängen. Trotzdem habe ich keine Angst um die noch größere Anzahl alter Sorten, von denen sich auch beim besten Willen nur eine Handvoll auf dem Markt behaupten wird. Es gibt genügend Liebhaber, die sich um diese Sorten kümmern, die sie sammeln wie andere Leute Briefmarken. In Deutschland sind diese Sammler im VEN (Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V.) organisiert. Und die staatlichen Versuchsanstalten haben Sortenmuseen eingerichtet, in denen sie weiter gepflegt werden. [...] Kai Bergengruen, Ostfildern
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen