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Kein runder Tisch für Nordirland

■ Die „irische Frage“ ist kein zentrales Thema für die Republik Irland oder die britische Linke

Dublin (taz) - Der Nordirland-Konflikt ist heute mehr denn je von einer Lösung entfernt. Bei der Unterzeichnung des anglo-irischen Abkommens im November 1985 wurden der katholischen Minderheit zwar politische und soziale Reformen versprochen. Kernpunkt des Vertrages war jedoch die Sicherheitspolitik. Die Dubliner Regierung machte große Konzessionen bei der polizeilichen Zusammenarbeit und in der Frage der Auslieferung politischer Gefangener. London verstand das Abkommen als Rahmen für einen militärischen Sieg über die IRA. Die versprochenen Reformen blieben bis heute aus. Zwar sind die IRA und ihr politischer Flügel, Sinn Fein, stark genug, eine „britische“ Lösung zu verhindern, doch können sie ihre eigenen Vorstellungen ebensowenig durchsetzen.

Aus der Republik Irland sind keine neuen politischen Initiativen zu erwarten. Die Politiker und vor allem die Bevölkerung haben zu sehr an den Folgen der katastrophalen Wirtschaftspolitik in den siebziger Jahren zu knabbern, die das Land fast in den Ruin getrieben hatte. Die Mehrheit der Bevölkerung verschwendet höchstens bei besonders schlagzeilenträchtigen Ereignissen einen Gedanken an die nördlichen Nachbarn, deren Alltagsrealität den meisten Südiren ohnehin unbekannt ist. Die „irische Frage“ ist in Großbritannien kein Thema, nicht einmal für die Linken. Zur nationalen Demonstration für einen Truppenabzug aus Nordirland gingen am letzten Samstag nur 3.000 Menschen auf die Straßen Londons. Zwar plädiert in Meinungsumfragen die Mehrheit der britischen Bevölkerung für einen Rückzug aus Nordirland, aber nur eine kleine Minderheit setzt sich auch politisch dafür ein. Nordirland ist zwar ein Ärgernis, aber es bedrückt die Öffentlichkeit nicht allzusehr. Zudem hatte die britische Regierung bereits 1974 damit begonnen, die Truppenpräsenz in Nordirland herunterzuschrauben und statt dessen verstärkt nordirische Protestanten für den Polizeidienst zu rekrutieren. Die Zahl der Polizisten wurde bis 1980 um 5.000 erhöht, während im gleichen Zeitraum 4.500 Soldaten aus Nordirland abgezogen wurden. Damit sollte der Krieg entpolitisiert und zu einem „law and order„-Problem heruntergespielt werden. Darüber hinaus erregt ein getöteter nordirischer Polizist in Großbritannien weitaus weniger Aufsehen als ein „gefallener“ britischer Soldat.

Es gehört zur Tragik der nordirischen Protestanten, daß sie besonders in England kaum besser angesehen sind als ihre katholischen Mitbürger, obwohl die meisten Protestanten auf ihrer britischen Identität beharren. Britische Politiker dürfen nach wie vor ungestraft rassistische Bemerkungen über „den Iren schlechthin“ machen, während ähnliche Äußerungen über schwarze Einwanderer unweigerlich einen Aufschrei der liberalen Öffentlichkeit nach sich ziehen würden. Mit der „irischen Frage“ lassen sich in Großbritannien keine Wahlen gewinnen. Das weiß auch die Labour Party, die es immer wieder vermieden hat, eine abweichende Position zu beziehen. Zwar hat sich die Labour Party 1987 gegen Plastikgeschosse, Kronzeugen-Prozesse und die nur für Nordirland geltenden Notstandsgesetze ausgesprochen, aber für die Wiedervereinigung Irlands setzt auch sie zunächst das Einverständnis der protestantischen Mehrheit voraus. Und auf das kann gewartet werden.

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