Kein Vorstellungsgespräch: Diakonie diskriminiert Muslima
Die Diakonie Hamburg muss eine Deutschtürkin entschädigen, weil sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Die kirchlichen Sozialwerke wollen Andersgläubige weiter ablehnen dürfen
Der Fall von Yesim F. könnte ein Präzedenzfall werden. Das Arbeitsgericht Hamburg hat das Diakonische Werk verurteilt, der Deutschen türkischer Herkunft 3.900 Euro Entschädigung zu zahlen. Der Grund: Der Muslimin, die nach eigenen Angaben ihre Religion nicht praktiziert, wurde ein Vorstellungsgespräch bei einem Projekt der Diakonie verwehrt, weil sie kein Mitglied einer christlichen Kirche ist.
Die schriftliche Begründung des Urteils steht zwar noch aus. Doch im Kern muss die Diakonie bezahlen, weil sie nach Ansicht des Gerichts gegen das Antidiskriminierungsgesetz verstoßen hat, wie eine Sprecherin sagte. Yesim F. hatte sich in einem von der EU geförderten Integrationsprojekt der Diakonie in Hamburg beworben, das sich um eine bessere Eingliederung von Zuwanderern in den Arbeitsmarkt kümmert. Zuvor hatte sie schon mehrere Jahre als Projektleiterin für MigrantInnenorganisationen gearbeitet, für die Stelle beim Diakonischen Werk sollte sie unter anderem die Homepage betreuen.
Nachdem Yesim F. ihre Bewerbung abgeschickt hatte, erhielt sie nach eigenen Angaben einen Anruf von der Diakonie und wurde gefragt, ob sie sich den Eintritt in eine christliche Kirche vorstellen könne, was sie verneinte. Kurz darauf bekam sie ihre Unterlagen zurück. "Die Ablehnung war absurd", sagt Sebastian Busch, Anwalt der 45-Jährigen. "Wenn man mit einem Projekt Migranten besser integrieren will, kann man doch nicht selbst von vorneherein muslimische Bewerber ausschließen."
Das Urteil hat die Kirchen aufgeschreckt. Schließlich betreiben die evangelische Diakonie und ihr katholisches Pendant Caritas deutschlandweit 52.000 Einrichtungen mit rund 900.000 Mitarbeitern. Bisher waren die Kirchen davon ausgegangen, dass sie trotz des Mitte 2006 von der großen Koalition verabschiedeten Antidiskriminierungsgesetzes generell verlangen können, dass ihre Mitarbeiter einer christlichen Konfession angehören. Schließlich hatte die Union gegen die SPD eine entsprechende "Kirchenklausel" durchgesetzt.
An diesem Selbstbestimmungsrecht hält die Diakonie auch nach dem Urteil fest. "Die Hamburger Entscheidung hat uns überrascht", sagte Wolfgang Teske, Vize-Präsident des Diakonischen Werks der taz. Die Diakonie könne über ihre Einstellungskriterien selbst entscheiden. "Zur Sicherung unseres evangelischen Profils gehört die Kirchenmitgliedschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter." Man wolle zwar noch die schriftliche Urteilsbegründung abwarten. "Aber ich gehe davon aus, dass wir in Berufung gehen", sagte Teske.
Auch bei der Caritas bleibt man bei der Auffassung, Andersgläubige bei Bewerbungen ablehnen zu können. "Alle Mitarbeiter der Caritas vertreten den Sendungsauftrag der Kirche", sagte eine Sprecherin. Gelassen nimmt man das Hamburger Urteil allerdings nicht: "Der Fall ist für die Kirchen von hoher Bedeutung." Juristen sind sich bei der Bewertung der "Kirchenklausel" im Anti-Diskriminierungsgesetz nicht einig. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kommt in einem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Kirchen weiterhin selbst bestimmen können, inwieweit ein Arbeitnehmer ihren Anforderungen genügt.
Die Autoren des Bremer Kommentars zum Antidiskriminierungsgesetz sehen das hingegen anders. Nicht bei allen Tätigkeiten könne eine Konfessionszugehörigkeit verlangt werden. Nötig sei eine kirchliche Prägung des konkreten Projekts. Diese Auffassung hat nun offenbar auch das Hamburger Arbeitsgericht geteilt. Für Yesim F. ist das Urteil eine Genugtuung. "Für das Projekt hat meine Religion absolut keine Rolle gespielt", sagt sie. "Das war eine offene Diskriminierung." Sie hat inzwischen ein Reisebüro für Kulturreisen eröffnet, inklusive eines interkulturellen Cafés.
Das Integrationsprojekt der Diakonie, für das sie sich beworben hatte, stellt dagegen in drei Wochen seinen Betrieb ein. Das liegt allerdings nicht an dem Gerichtsprozess. Die Förderung der EU läuft zum Jahresende aus. Ein neuer Geldgeber hat sich nicht gefunden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“