: Kein Versicherungscamping
■ Runter vom Gehsteig: Wohnwagen und Container der Versicherer und Autoschildermacher in der Jüterboger Straße sollen bis 1994 verschwinden
Einem bundes- und gesamtdeutsch einmaligen Baudenkmal soll nun endgültig der Garaus gemacht werden. Die etwa vierhundert Meter lange „Versicherungsreeperbahn“ beim Kraftverkehrsamt in der Jüterboger Straße, ein wildes Gemisch aus knallig bunten Wohnwagen der fünfziger Jahre, Reklameschilderwäldchen und massiven Containern für anschaffende HUK-ARAG- usw.-VertreterInnen hat jetzt nur noch Frist bis 1994. Dann muß der Kram nach dem Willen des Kreuzberger Tiefbauamts vom Gehsteig runter, Autoschildermacher und Versicherer sollen in ein extra für sie errichtetes zentrales Gebäude umziehen. Ein neues „Straßenbild“ soll her.
„Das sieht ja aus wie halb Chicago“, beschwert sich der Leiter des Tiefbauamtes Kreuzberg, Misch, über die Wagen der Versicherungsvertreter und Schildermacher, die dicht an dicht am Zaun des KVA-Geländes stehen und rund die Hälfte des Bürgersteiges einnehmen. Da der Gehweg nach Ansicht des Tiefbauamtes nicht mehr benutzbar ist, könne man den Standort der Wagen städtebaulich nicht dulden. Eine Sondernutzungsgenehmigung bis zum Jahr 1994 soll nur jenen gewerbetreibenden erteilt werden, die soziale Härtefälle darstellen, der Rest muß schon vorher weg. Die Räumungsverfügungen stehen bereits seit Mitte der achtziger Jahre aus. Nun sollen zuerst diejenigen Versicherungsagenten dran glauben, die parallel zu ihrem Wohnwagen noch über weitere Stände oder Geschäfte verfügen.
Der ewige Konflikt um den Stellplatz der Wagen reicht bis in die sechziger Jahre zurück. Damals beschied eine Kommission aus Vertretern des Tiefbauamtes, der Abteilung für Straßenhandel und des zuständigen Polizeireviers, daß die Gewerbetreibenden ihre Wagen an dem jetzigen Standort aufbauen durften.
Doch 1972 monierte plötzlich der damalige stellvertretende Leiter der Bauaufsicht, Retsch, daß gemäß der Bauordnung keine Bauwerke auf dem Gehweg stehen dürfen. Feststehende Wagen seien aber als Bauwerke zu erachten. Somit leitete er eine endlose Kette von Prozessen ein, deren Fortführung sich sein Nachfolger zur Aufgabe gemacht hat.
Die „Gemeinschaft der Schilderhersteller und Versicherungskaufleute am Kraftverkehrsamt Berlin“ gab jedoch nicht klein bei. Vielmehr wurde fleißig gegen jeden negativen Beschluß der Gerichte geklagt, so daß die Wagen bis dato stillschweigend geduldet wurden. Dem Vorschlag der Kreuzberger SPD-Fraktion, bis 1994 ein zentrales Gebäude für alle Schilderhersteller und Versicherungsagenten zu errichten, sind die meisten Betroffenen nicht abgeneigt. So könnte es sich der Besitzer des Wagens Nr. 23, Wolfgang, gut vorstellen, im Alter einen komfortableren Arbeitsplatz zu beziehen. Keinerlei Verständnis hat er dafür, daß einige der Versicherungsvertreter schon vor 1994 den Standort räumen sollen.
Mittlerweile wurden alle 30 Einzelfälle auf soziale Härten geprüft, wobei bereits zehn Wagenbesitzern eine Sondernutzungsgenehmigung erteilt wurde, dreien wurde sie in Aussicht gestellt. Alle weiteren Fälle werden noch bearbeitet. Voraussichtlich wird rund ein Drittel der Betroffenen keine Genehmigungsverlängerung erhalten. Unter den Wagenbesitzern wächst der Unmut. So verkündete deren Sprecher Thomas: „Eine kampflose Räumung wird es nicht geben“.
Jakob Schneider
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