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„Kein Skalp für die Grünen“

■ Interview mit dem hessische Minister Ulrich Steger (SPD), zur Situation der Hanauer Nuklearbetriebe, zur „Biblis–Kommission“ und zum Ausstieg aus der Atomenergie / Ein Gutachten des Rechtsanwaltes Geulen, nach dem die Hanauer Nuklearbetriebe ohne Genehmigung arbeiten, könnte den Minister vor den Kadi bringen

taz: Herr Minister, Ihr Kabinettskollege Joschka Fischer hat Sie mit dem Geulen–Gutachten eiskalt erwischt. In Hanau wird die Staatsanwaltschaft Anklage auch gegen Mitarbeiter Ihres Hauses erheben. Ihr Koalitionspartner wirft Ihnen in Sachen Hanau Verschleppung und „Deckung von kriminiellen Vorgängen“ vor, und in Ihrer Fraktion mehren sich die Stimmen, die Ihnen Versagen und Erfolglosigkeit vorwerfen. Jetzt werden Sie auch noch von den Managern der Atomfabriken heftig verbal geprügelt. Sitzt der Minister Ulrich Steger - nach etwas mehr als zwei Jahren Amtszeit - zwischen allen Stühlen? Als ich hierher kam, habe ich gewußt, daß dieses hier kein Job ist, der mich zum Liebling von jedermann machen wird. Solange die Grünen als Partei - nicht Herr Fischer - mit mir genauso unzufrieden sind, wie etwa der Verband Hessischer Unternehmer, kann ich damit leben. Die Kritik wird ja aus sehr unterschiedlichen Motivationen heraus vorgetragen. Ich möchte einmal von den von Ihnen vorgetragenen Schlagworten wegkommen und zur Sache reden. Welches Geulen–Gutachten meinen Sie denn; da gibt es ja mehrere? Für Hessen gibt es zur Zeit nur ein politisch relevantes Geulen– Gutachten. Und das hat das Fischer–Ministerium in Auftrag gegeben. Es beinhaltet eine vernichtende Analyse zu den Hanauer Nuklearbetrieben ... Also Sie meinen das Gutachten, mit dem Herr Geulen im Moment Wahlkampf für die Grünen macht Dazu darf ich Ihnen die Auffassung meines Ministerpräsidenten mitteilen, der das Geulen–Gutachten als schlichtweg falsch bezeichnet hat. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Heißt das, daß die von Ihnen angekündigte Prüfung des Geulen– Papiers inzwischen abgeschlossen ist? Also wissen Sie, die Verfahren liegen ja zum Teil sehr weit zurück, fünfzehn, zwanzig Jahre. Wir sind damit noch nicht ganz fertig. Aber ich habe ja in meiner letzten Rede (vor dem Landtag, die Red.) ein Beispiel dafür genannt, daß die Voraussetzungen, mit denen Herr Geulen argumentiert, einfach falsch sind, etwa was die gewerbeaufsichtlichen Genehmigungen betrifft. Sie hatten ja vor dem Landtag von zwei vorliegenden Genehmigungen gesprochen. Bisher haben Sie die aber nicht öffentlich vorgestellt. Haben Sie die nicht mehr gefunden? Wir haben jetzt eine Stellungnahme zu dem Roßnagel–Gutachten erarbeitet (Juristisches Ausstiegszenario; Auftraggeber: Umweltministerium, die Red.), die 99 Punkte hat und die inzwischen - ebenso wie das Roßnagel– Gutachten selbst - der Staatsanwaltschaft vorliegt. Und wenn man sich mit dem Geulen–Gutachten zu Hanau auseinandersetzt, dann hat man wiederum etwa zwischen 99 und 180 Punkten zu bearbeiten. Aber eins kann ich mit Sicherheit sagen: Die Fakten, die dort geschildert werden, stimmen so nicht, und das macht die öffentliche Auseinandersetzung so schwierig. Im Grunde geht es doch um folgendes: Die grüne Landesversammlung hat gesagt, daß bis zum 31.12. die ersten Stillegungen erfolgt sein müssen. Der Ministerpräsident hat dagegen gesagt, daß wir das Atomgesetz ändern wollen; das will ich auch. Aber bis dahin müssen wir sorgfältig das Gesetz exekutieren, das im Bundesgesetzblatt steht. Das heißt konkret, daß die grüne Landtagsgruppe auf der nächsten Mitgliederversammlung keinen Skalp wird vorzeigen können. Bleiben wir konkret bei Hanau. Sie haben sich - mit Ihrem „22–Bolzen–Brief“ - mit der Geschäftsleitung der RBU angelegt. Die RBU–Manager verweisen zurecht darauf, daß Sie in der Vergangenheit „alles mitgetragen“ hätten. War das nicht eine rein taktische Vorgehensweise, angesichts der drohenden Anklageerhebung gegen Warrikow und andere? Also, die Anklageerhebung droht ja seit zwei Jahren, bei ALKEM ... Aber jetzt wirds ernst ... Lassen Sie uns das mal abwarten. Seit einem Jahr wird mir diese Anklageschrift angekündigt. Und wenn, dann muß man erst einmal gucken, was in dieser Anklageschrift drinsteht. Aber daß ich dort alles mitgetragen hätte, das stimmt ja so nicht. Einer der seltenen Fälle, wo mich die „taz“ mal gelobt hat, war ja die Geschichte mit „Raum 13“ (Assemblierung plutoniumhaltiger Brennelemente durch die RBU, die Red.). Als die Geschäftsführung damals diesen dicken Bolzen gedreht hat, habe ich eine Teilstillegung angeordnet, die hinterher von Zimmer mann kassiert worden ist. Es war für uns ein Schock, als wir am 22. Mai, in einem Statusgespräch mit der RBU, feststellen mußten, daß im Grunde viele Dinge, die wir als abgehakt betrachtet haben - es hat ja über vierzig Fachgespräche gegeben - nicht umgesetzt worden waren. Im Gegenteil hat sich bei den verschiedenen Überprüfungen herausgestellt, daß auch die Bestandspflege mangelhaft war. Arbeiten Sie auf die Ablösung der RBU–Geschäftsleitung hin? Ist dann das Problem RBU für Sie erledigt? Das ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Genehmigung. Notwendig ist, daß die neue Geschäftsleitung dann sich wirklich auf den Hosenboden setzt und die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Da muß ich aber doch noch einmal auf das Geulen–Papier zurückkommen. Dort wird doch festgestellt, daß die Hanauer Atombetriebe von Anfang an ohne jede Genehmigung produzierten. Was geschieht mit den ganzen Altanlagen? Ich habe bereits gesagt, daß dieses Gutachten in den wesentlichen Dingen falsch ist. Ich habe auch Beispiele genannt ... Ich möchte konkret wissen: Gibt es nun rechtsgültige Genehmigungen, oder gibt es die nicht? Sie müssen doch wissen, ob die bei Ihnen in der Schublade liegen ... Nein, also wissen Sie, der Herr Geulen, der stellt ja eine völlig neue Rechtstheorie auf. Über zwanzig Jahre lang haben Bund und Land bestimmte Dinge für rechtmäßig gehalten. Nehmen wir das Biblis–Gutachten, da ist es einfacher darzustellen: Herr Geulen sagt plötzlich, daß diese Kernkraftwerke abgeschaltet werden müßten, weil die Radioaktivität in der Bundesrepublik insgesamt gestiegen sei. Das ist eine These, die bisher weder in der wissenschaftlichen, noch in der Rechtsliteratur so diskutiert worden ist. Ich will ja nun auch vermeiden, daß die Grünen in eine Sackgasse rennen und sich mit diesem Geulen so identifizieren. Denken Sie doch mal die politischen Konsequenzen zu Ende. Was heißt das denn, wenn Herr Jakob (Atomexperte der Landtagsgruppe, die Red.) rechthaben sollte, und wir bei unserer Rechtsmeinung bleiben? Wollen dann die Grünen noch länger mit uns in einer Koalition bleiben? Wir können nicht mit nicht–tragbaren Rechtsargumenten versuchen, die Hanauer Betriebe stillzulegen. Dann wird uns Wallmann sofort zurückpfeifen und am Ende gar noch als Retter der Arbeitsplätze in Hauau dastehen. Was im Moment stattfindet, das ist doch ein kleinbürgerlicher Konkurrenzwettlauf - wer ist mehr gegen Kernenergie. Das eigentliche strategische „Schlachtfeld“ muß es sein, eine überzeugende Alternative zur Kernenergie aufzubauen. Wenn man den Ausstieg will und den Einstieg in die Plutoniumwirtschaft nicht will, dann muß doch jetzt der Einstieg in den Ausstieg sichtbar werden. Ihre Partei will die Plutoniumfabrik ALKEM nicht. Die Grünen hätten ALKEM am liebsten schon gestern geschleift. Wie wird denn jetzt stillgelegt in Hessen? Attraktive Alternativen müs sen geschaffen werden, und da kann man sich nicht - wie das die Grünen tun - hinter zweifelhaften juristischen Gutachten verstecken. Um ein anderes Atomgesetz zu bekommen - und das wissen die Grünen genau - braucht man eine andere Mehrheit in Bonn. Das ist der strategisch wichtigste Punkt. Was soll das jetzt, mit dem Nachkarten über Verwaltungshandlungen, die zwanzig Jahre zurückliegen? Sie haben doch als Aufsichts– und Genehmigungsbehörde weitreichende Kompetenzen ... Ich gebe Ihnen recht, daß wir daran gebunden sind, das derzeitige Atomgesetz mit aller Akribie auszuführen. Und deshalb haben wir ja in Sachen Biblis diese § 17 (Atomgesetz)–Untersuchung eingeleitet. Da hat es ja aus Bonn viel Störfeuer gegeben, aber wir haben uns durchgesetzt. Die Kommission läuft jetzt. Arbeitet denn diese Kommission nun tatsächlich auf der Grundlage des Atomgesetzes? Aus Bonn war Gegenteiliges zu hören. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Und es ist auch klar, daß diese Leute alles, was sie zur Bewältigung ihrer Aufgabe brauchen, auch bekommen. Wir haben sogar die RWE gebeten, die notwendigen technischen Beschreibungen zur Verfügung zu stellen. Das läuft alles. Irritationen gibt es nur in der Öffentlichkeit. Herr Wallmann hat lediglich festgestellt, und das ist sachlich richtig, daß dies keine Gutachter sind, die in einem normalen Genehmigungs– und Aufsichtsverfahren tätig sind. Das habe ich auch nie bestritten. Die Biblis– Kommission wird im Auftrag der Genehmigungsbehörde tätig, im Rahmen des § 17 des Atomgesetzes. Werden Sie denn auf der Grundlage der Arbeitsergebnisse dieser Kommission entsprechende Entscheidungen treffen? Ja, natürlich, wobei man dann gucken muß, wie die Ergebnisse aussehen. Die Kommission muß so solide arbeiten, und dafür braucht sie auch Zeit, so daß das Ergebnis dann sowohl von Herrn Fischer als auch von Herrn Wallmann akzeptiert werden muß. Das ist mein Ziel. Das Interview führte Klaus–Peter Klingelschmitt

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