: Kein Sieg in Sicht
Der Wal! Der Wal! Susanne Tuckenbrock hat „Moby Dick“ als Mythos von der ideologischen Verführbarkeit inszeniert
Immer wieder ist es der Wal, dem die Männer nachjagen. Der große, weiße Körper, der nie sichtbar wird, verborgen durch die Tiefen zieht und doch stets als unterschwellige Bedrohung präsent ist. Seit 1820 ein außer Rand und Band geratener Pottwal den amerikanischen Walfänger „Essex“ versenkte und 30 Jahre später Herman Melville seinen Bestseller „Moby Dick“ kompilierte, manifestiert sich im Bild der Schiffskatastrophe der Kampf gegen das bedrohlich gründelnde Grauen.
Acht Männer brechen in der Inszenierung des Orphtheaters auf zur großen Fahrt, um mit blinder Besessenheit der Aussicht auf Reichtum zu folgen und ihre Angst vor sich selbst zu besiegen. In der Werkstatt des Schiller Theaters erzählt Susanne Tuckenbrock die Geschichte als einen Irrweg entlang den Verlockungen von Ideologien und Gemeinschaftsritualen. Schon Melvilles Roman war keine geradlinig komponierte Geschichte, sondern eine Mixtur verschiedener literarischer Genres.
Entsprechend ist auch bei Tuckenbrock die bearbeitete Romanfassung von Tim Staffel ein Bilderreigen, in dem sich immer wieder neue Motive zu einem Teppich verschiedener Bedeutungen und mythenbeladener Motive verweben. Anfangs prusten die Männer Wasser in die Luft. Das gleißende Bühnenlicht lässt sie und die gelegentlich aufblitzenden Fontänen ein wenig wie Wale aussehen. Dann die Verbrüderung, der Schwur: „Weiß und Wal und kein Geheimnis.“
Mehrfach versichern sich die Männer gegenseitig, dass es kein Geheimnis gebe. Dabei ist offensichtlich, dass nur das unausgesprochene Geheimnis einer verdrängten Verletzung und die wilde Entschlossenheit zu albern-heroischer Männlichkeit sie in ihrem unglücklichen Kampf anstachelt. Der Wal wird zur Methapher für „das Böse“. Wenn die Männer mit entblößter Brust aufstampfen, vereinen sie sich zum entfesselten faschistischen Körper. In einer Videoprojektion mutiert der Tierkörper dann zum Signet verschiedener unheilvoller politischer Bewegungen des 20 Jahrhunderts: vom Runenkreuz der Nazis bis zum gewehrbestückten Stern der RAF.
Irgendwann steht Captain Ahab weinend im grellen Licht, möchte so gerne ein großer, furchtloser Waljäger sein und ist doch nur eine jämmerliche Gestalt, die verzweifelt mit ihren inneren Dämonen kämpft. Dröhnende Metalmusik gibt dem Stück seinen Klang. So dürfen Rammstein nach „der Sonne“ suchen, und die erstrahlt auch tatsächlich in Form von 1.000-Watt-Scheinwerfern.
Letztlich vereint das Szenario die Körper zu einer Masse, in der der Einzelne sein Gesicht verliert und verführbar zu politischen Ideologien wird: Der Monolog Ahabs, die unheilvollen Heil-Hitler-Rufe des Schauspielers Uwe Schmieder. Aus dieser Gemengelage entsteht ein dichtes Spiel, das seinen Rhythmus im Wechsel gewalttätiger männlicher Rituale und der dann wieder folgenden Todesstille auf dem glatten Meer findet.
RICHARD RABENSAAT
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