: Kein Rückhalt in der Heimat
■ SPD-Politiker besuchten Asylbewerberheime in Pankow und Schöneberg/ 1.450 minderjährige Flüchtlinge leben ohne ihre Eltern in Berlin/ »Jugendasyl e.V.« bietet 120 von ihnen Schutz
Berlin. Während weiterhin Asylbewerber in ihren Heimen um ihr Leben fürchten müssen, machten am Wochenende zahlreiche Politiker mobil. Der stellvertretende SPD- Vorsitzende Wolfgang Thierse und Jugendsenator Thomas Krüger besuchten am Sonnabend zwei Asylbewerberheime. Für eine drastische Verkürzung der Asylverfahren sprach sich Thierse in einem Heim in Pankow aus. Krüger forderte alle Bürger zu mehr Toleranz auf. Gerade als Vertreter der Ex-DDR sei es wichtig, ein deutliches Signal gegen den Rassismus zu setzen, sagte Krüger im Schöneberger »Jugendasyl e.V.«. Dort leben auf vier Etagen 60 von insgesamt 1.450 jugendlichen Flüchtlingen in Berlin. Die meisten der Jugendlichen aus fünfzehn verschiedenen Ländern wurden von Eltern oder Verwandten aus Angst vor Krieg, Hunger oder Verfolgung nach Deutschland geschickt. Das Heim bemüht sich, in den Zimmern Jugendliche gleicher Nationalitäten zusammen unterzubringen. Viele Minderjährige kommen aus Osteuropa. In vielen Fällen, so der Heim- Psychologe Wolfgang Schröder, seien die Familien zerrüttet und die Kinder vor die Tür gesetzt worden. Vom sozialen Netz im eigenen Land nicht aufgefangen, versuchten sie dann, sich nach Deutschland durchzuschlagen. Ein junger Rumäne war auf seinem Weg nach Berlin 300 Kilometer zu Fuß unterwegs — ohne Geld und ohne Paß. »Viele können quasi nicht mehr zurück«, berichtet Schröder. In ihrem Herkunftsland gäbe es oft noch weniger Perspektiven und Rückhalt für sie. Auch der Psychologe fordert eine Straffung des Asylverfahrens (»Wenn wir sie schon nicht hierbehalten«). Minderjährige erst nach Jahren zurückzuschicken, »wenn sie endgültig alle Brücken abgebrochen haben, ist schlichtweg jugendgefährdend.«
Die 14jährige Rosa ist vor einem halben Jahr vor dem Bürgerkrieg aus Äthiopien geflohen. Über das Schicksal ihrer Eltern weiß sie nichts. Wenn der Krieg zu Ende ist — wer wartet in Äthiopien noch auf sie? Sie weiß nicht, ob sie in Berlin bleiben kann. »Ich habe mich hier eingelebt«, sagt sie, »habe Freunde gefunden. Aber vielleicht muß ich in zwei Wochen nach Ostdeutschland in ein anderes Heim.«
Von dort kämen oft genug gerade Jugendliche wieder nach Berlin, berichtet Schröder. Untergebracht in überfüllten Schlafsälen ohne Gleichaltrige, zieht es sie zurück in die Stadt, wo sie sich bereits ein wenig eingewöhnt hatten. »Dann stehen sie wieder hier, und wir dürfen sie nicht mehr aufnehmen«, berichtet Schröder. 120 Jugendliche kann Jugendasyl e.V. in zwei Häusern unterbringen. Die Plätze reichen vorn und hinten nicht. Doch bisher ist der Verein nicht einmal als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt und finanziert sich wie die »Läusepensionen« über die Bezirksämter — 37 Mark pro Nacht und Nase. Die finanzielle Misere wird immer deutlicher. Eine Psychologin mußte bereits entlassen werden. Um so dankbarer waren die 30 Mitarbeiter über den Besuch des Jugendssenators. Krüger sicherte zumindest zu, sich für die Anerkennung der Einrichtung als Jugendhilfeträger einzusetzen. Jeannette Goddar
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