: „Kein Rechtsstaat für Flüchtlinge“
■ Flüchtlingsrat in Niedersachsen zieht vernichtende Bilanz nach einem Jahr „Asylkompomiß“
„Der Rechtsstaat ist für Flüchtlinge praktisch abgeschafft. Der rassistischen Willkür von Behörden und der Ausbeutung von rechtlosen Menschen sind Tür und Tor geöffnet.“ Mit diesem vernichtenden Fazit hat der niedersächsiche Flüchtlingsrat am Wochenende in Hannover eine vorläufige Bilanz aus den Erfahrungen nach einem Jahr „Asylkompromiß“ gezogen. Die kurzen Widerspruchsfristen im neuen Asylrecht machten ein rechtssicheres Verfahren praktisch unmöglich. Das Asylverfahren sei zudem nur mit Hilfe eines versierten Anwaltes zu bewältigen, den die Betroffenen nach dem neuen Asylbewerberleistungsgesetz aber meist nicht bezahlen könnten. Die neuen Regelungen dienten „nicht dem Schutz der Flüchtlinge, sondern dem Schutz der Bundesrepublik vor Flüchtlingen“, meinte der Vorsitzende des Flüchtlingsrates, Matthias Lange.
Ein Beispiel dafür sei die Haltung von Bundesinnenminister Kanther, ein Abschiebestop käme einem „Anreiz für illegale Zuwanderung“ gleich. Obwohl auch vom Bonner Innenministerium anerkannt sei, daß in Ländern wie Kurdistan oder dem Kosovo den Flüchtlingen Verfolgung drohe, gäbe es keinen Abschiebestop, sondern „rechtlich sehr zweifelhafte Abschiebungen“, urteilte der Vorsitzende des Rates, in dem landesweit etwa 150 Initiativen zum Schutz von Flüchtlingen zusammenarbeiten.
Bürgerkriegsflüchtlingen, die durch das neue Gesetz einen Sonderstatus mit Aufenthaltserlaubnis bekommen sollten, sei dieser bisher noch kein einziges Mal gewährt worden, kritisierte der Rat. Sie seien weiterhin „nur geduldet“, hielten sich also juristisch gesehen illegal in Deutschland auf.Meldungen über die drastisch sinkende Zahl von Asylanträgen spiegelten nicht die wahren Verhältnisse wider, bemängelte der Rat. „Die Fluchtgründe können durch Gesetzesänderungen in Deutschland nicht abgeschafft werden. Daher kommen auch die Flüchtlinge weiter, nur, daß sie von vornherein in die Illegalität abgedrängt werden“.
Einziger Lichtblick für die Flüchtlingshelfer ist die bundesdeutsche Justiz: „Die Urteile, in denen Flüchtlingen Gruppenverfolgung zugestanden wird, nehmen überall zu“, meinte Lange. „Die Gerichte sind bereit, der rechtsstaatswidrigen Praxis etwas entgegenzusetzen.“ Mit Sorge betrachtet der Rat allerdings ein „Auseinanderklaffen“ zwischen Gesetzgeber und Justiz in dieser Frage. Immer öfter weigerten sich Gerichte, die im Asylrecht vorgesehenen kurzen Fristen einzuhalten. „Wir fürchten, daß es auf dem Gesetzweg zu einer generellen Abschaffung des Rechtsweges für Flüchtlinge kommt.“
An den niedersächsischen Ministerpräsident Schröder richtete der Rat die Aufforderung, im nächsten Haushalt nicht wie geplant den Etat des Ausländerbeauftragen zusammenzustreichen. Das wäre unverständlich und unverantwortlich und „politisch das falsche Signal“, denn damit werde dem niedersächsichen Modellversuch von Sozialarbeit mit dezentral untergebrachten Flüchtlingen der Garaus gemacht. Harte Kritik übt der Flüchtlingsrat auch an der Praxis der Versorgung von Asylsuchenden in Niedersachsen: Zwar sehe das gleichfalls vor einem jahr verabschiedete „Asylbewerberleistungs-Gesetz“ vor, daß die Verpflegung der Flüchtlinge grundsätzlich durch Sach- und nicht Geldleistungen zu erfolgen habe. Ein Erlaß des grünen Ministers Jürgen Trittin hatte jedoch die Ausnahmen von dieser Praxis sehr ausgeweitet. Trotzdem versorgten über die Hälfe der Kommunen die AsylbewerberInnen mit Sachleistungen: „Es gibt da anscheinend ein ausgesprochenes Diskriminierungsbedürfnis“, so Lange. Dabei kommt den Kommunen die Verpflegung über Gutscheine oder Essenspakete teurer zu stehen als die Ausgabe von Geld: Die Ausgabe von Bargeld sei nach einer Berechnung aus Bielefeld rund 30 Prozent billiger als die Versorgung mit Sachleistungen, meint Lange. bpo/dpa
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