: Kein Nachdienen für Reservisten
Bundesverfassungsgericht erklärt Praxis, daß nachträglich verweigernde Reservisten Zivildienst nachleisten müssen, für verfassungswidrig / Gewissensprüfung weiter erschwert ■ Von Bernd Müllender
Berlin (taz) - Für verfassungswidrig und damit null und nichtig erklärt hat jetzt das Bundesverfassungsgericht die Regelung, daß nachträgliche Kriegsdienstverweigerer (KDV) als „Strafe“ für ihre Gewissensentscheidung automatisch fünf Monate Zivildienst nachdienen müssen. Seit etwa vier Jahren wurden anerkannte Reservistenverweigerer, die unter 28 Jahre alt sind, keine Reserveübungen gemacht haben und nicht Zeitsoldat waren, angeblich aus Gründen der „Wehrgerechtigkeit“ zum Zusatzdienst herangezogen. Die fadenscheinige Begründung lautete stets: da im Normalfall 15 Monate Bundeswehr den 20 Monaten Zivildienst gegenüberstehen, würden sich die Verweigerer ohne Nachdienst Vorteile erschleichen.
Da aber die Gleichung 15 gleich 20 damit begründet wurde, daß der Soldatendienst mit einer größeren Anzahl an Nachteilen verbunden ist als der Zivildienst, wurden im Fall der Reservistenverweigerer, die ja den härteren Dienst voll abgeleistet hatten, 15 Äpfel mit 20 Birnen gleichgesetzt. Damit ist es jetzt vorbei. Denn die Karlsruher Richter erkannten „die stärker belastende Lebenssituation“ von Soldaten an, und hielten den Verantwortlichen das Gleichheitsgebot unter die Nase. Allerdings hat das Gericht Gesetzgebern und Ämtern in zwei Punkten Handlungsspielraum gelassen. Zum einen müsse die Gewissensprüfung der verweigernden Ex-Soldaten erschwert bleiben, weil es das tragende Indiz für eine ernsthafte Gewissensentscheidung, nämlich den längeren Dienst, hier nicht gibt. Bis heute kommen gediente Verweigerer nicht, wie die meisten anderen, mit dem schriftlichen Anerkennungsverfahren davon, sondern müssen im Normalfall vor die inquisitorischen Kommissionen. Zum anderen soll die „Indizfunktion“ insofern erhalten bleiben, daß ein Nachdienen nicht generell verfassungswidrig sein muß, „bei der zeitlichen Bemessung“ jedoch „eine spürbare Entlastung zu gewähren“ sei. Wie dieser faule Kompromiß in der Praxis aussehen soll, (drei, zwei oder ein Monat?) ist unklar.
Zur Zeit nämlich gilt eine Verfügung des für das Zivildienst-Bundesamt zuständigen Familienministeriums, die alle Einberufungen für einen Zeitraum von drei Monaten und weniger wegen des hohen Verwaltungsaufwandes verbietet. An die 2.000 Spätverweigerer haben bis heute den nunmehr gesetzwidrigen Fünf-Monatsdienst abgeleistet. Die Chancen für Schadensersatzansprüche (Verdienstausfall etc.) bei diesen Altfällen sind gering. Allen anderen aber, die zur Zeit noch den Zweitdienst ableisten, empfiehlt die Bremer KDV-Zentralstelle, umgehend einen Antrag auf sofortige Entlassung zu stellen. Alle wehrunfähigen Reservisten, die bislang abgeschreckt wurden von der Zivildienststrafe, dürfen nun sorgenfreier ihre Kündigung einreichen.
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