: Kein Lidschatten, Selbstzensur
Als Journalistin zwischen israelischer Zensur und palästinensischem Mißtrauen ■ Von Mageda al-Batsh
Geboren bin ich in Jerusalem und lebe bis heute im selben Haus in der Altstadt mitten im Souq (Marktviertel). Ich ging noch zur Schule, als die Israelis den Osten der Stadt einnahmen. Die Schule geriet unter Kontrolle der Jerusalemer Stadtverwaltung, und die Lehrer wurden aufgefordert, uns Schüler auch in den Westen der Stadt zu führen, damit wir die israelischen Bürger sozusagen von nahem erlebten und überhaupt die angenehmen Seiten Israels kennenlernten; man wollte uns dadurch die Angst nehmen. Ich erinnere mich noch gut an Ausflüge in das Kennedy-Haus und zum Israel-Museum.
Von einem der Ausstellungsbesuche im Israel-Museum ist mir ein Bild im Gedächtnis geblieben: es zeigte einen Mann mit einem Gewehr in der Hand und einem Polizisten im Kopf. Heute kommt es mir vor, als sei dieses Bild ein Spiegel meines Kopfes — in dem der Oberst des Zensurbüros jetzt sitzt. Schon beim Hinschreiben eines Wortes muß ich es mit seinen Augen sehen, den Augen eines Zensors. Und das hält mich oft vom Schreiben ab, denn ich weiß, es wird ihm nicht gefallen...
Oft also zensiere ich mich selbst und schreibe Sätze, die ihn nicht ärgern können. Manchmal bete ich darum, daß heute ein guter Tag für ihn ist, seine Frau am Abend zuvor ihn nicht geärgert hat und seine Kinder gute Zensuren nach Hause bringen. So ist es unmöglich, gute Artikel zu schreiben.
Auch die arabische Gesellschaft macht es einem nicht leicht, als Journalist zu arbeiten, noch schwerer ist es für eine Frau in diesem Beruf, in dempolitische und gesellschaftliche Hindernisse gegen sie stehen. Die Menschen bei uns mißtrauen der Presse. Schnell klopfen nach einem Interview Leute vom Shin Bet (israelische Geheimpolizei) an deine Tür. Die Menschen haben Angst, mehr zu sagen, als das, was unmittelbar zur Veröffentlichung bestimmt ist: Vielleicht ist die Journalistin, die ihnen gegenüber sitzt, eine Kollaborateurin. Und die Menschen haben auch Angst davor, ihren Ärger über Probleme mit der Kanalisation oder ihrer Besteuerung auszudrücken, denn dadurch verlieren sie vielleicht Punkte bei der Verwaltung — und schließlich ist man irgendwann doch wieder auf deren Hilfe angewiesen. Es gibt viele Möglichkeiten, denjenigen das Leben schwer zu machen, die auf ihre Rechte als Bürger bestehen. Darum gehe ich nie in ein Flüchtlingslager, Dorf oder Stadtviertel, ohne vorher sorgfältige Kontakte hergestellt zu haben.
Unter Kollegen oder meinen Verwandten suche ich zuerst nach jemandem, der jemanden in dem Dorf kennt, das ich besuchen will. Durch diesen Mittler wird meine Identität bestätigt, und ich werde den Leuten, die ich interviewen will, empfohlen. Diese Vorbereitung muß auch sicherstellen, daß ich die richtigen Leute treffe und nicht etwa jemanden, der schon an seinem Ort als nicht vertrauenswürdig gilt oder sogar als Kolloborateur verdächtigt wird. Unter den gegenwärtigen Bedingungen, in denen unsere wenigen Telefone abgestellt worden sind, nimmt diese Koordination schon eine Menge Zeit in Anspruch.
Als nächstes fahre ich immer mit einer ganzen Liste von Adressen los, sozusagen als Berufsnachweis, denn die Leute rümpfen nach wie vor die Nase über Frauen, die alleine reisen. Am Beginn jedes Interviews werde zunächst einmal ich von meinen Interviewpartnern interviewt. Sie wollen herauskriegen, ob ich wirklich ich bin, also die Person, von denen ihre Bekannten ihnen erzählt haben. Meine Pressekarte zu zeigen, hat gar keinen Sinn, und sie sind auch nicht mit der Empfehlung nur durch Dritte zufrieden, bevor sie nicht selber alle Fragen an mich persönlich losgeworden sind: Woher komme ich? Was ist der Name meiner Familie? Kenne ich vielleicht auch So-und-so? Sie versuchen, mich innerhalb der palästinensischen Gemeinschaft zu lokalisieren und so meine Verbindungen zu überprüfen.
Aber auch jetzt sind sie noch nicht beruhigt. Sie fangen an, mir als Frau Fragen zu stellen. Man will dadurch sichergehen, daß ich wirklich beruflich unterwegs bin und nicht etwa von zu Hause durchgebrannt, so daß mein Mann, Vater oder Bruder jeden Moment bei ihnen auf der Matte stehen könnte. Alle sind ausnahmslos verunsichert darüber, daß meine Familie mir erlaubt, mich ohne Begleitung zu bewegen. Sie akzeptieren zwar, daß Frauen in Jerusalem anders leben als auf den Dörfern, und jeder hat auch schon einmal etwas von „befreiten Frauen“ gehört, aber sie zweifeln dennoch weiter an meinen moralischen Prinzipien. Deshalb übernachte ich beispielsweise nie allein in einem Hotel, denn das würde meinen Namen und das Vertrauen, das meine Interviewpartner schießlich in mich gefaßt haben, sofort wieder ruinieren. Ich muß in ihren Augen achtungswert sein, sonst würden sie nicht mit mir sprechen.
Es geht dabei nicht um meine Qualifikation als Journalistin, sondern um meinen Lebensstil. Wenn ich irgendwo über Nacht bleiben muß, dann als Gast einer Familie, mit der die Angelegenheit durch Freunde oder Verwandte im voraus arrangiert worden ist.
Die schwierigste Frage ist immer die, warum ich denn noch nicht verheiratet sei. Wenn ich sehe, daß meine Erklärungen sie nicht überzeugen, sage ich manchmal, daß mein Freund seit zehn Jahren in Haft ist und daß ich auf ihn warte. Das löst dann immer allgemeine Befriedigung aus.
Bei jeder Reise verwende ich viel Sorgfalt darauf, mich so zu kleiden, wie es die Tradition des Ortes verlangt. In Jerusalem ziehe ich mich so modisch wie möglich an, aber auf meinen Reisen in die Dörfer trage ich auf keinen Fall Hosen und sehe zu, daß Rock oder Kleid bis über die Knöchel fallen, die Ärmel meine Handgelenke verdecken und der Kleid- oder Blusenkragen bis auf den letzten obersten Knopf geschlossen ist. Wenn es notwendig ist, bedecke ich auch mein Haar oder sogar mein Gesicht. Auf diese Weise zeige ich den Menschen, mit denen ich reden will, meinen Respekt an. Und morgens lege ich natürlich auch kein Make-up auf, wenn ich davon ausgehen muß, daß meine Interviewpartner Lidschatten und Lippenstift als Zeichen von Liederlichkeit ansehen.
Mich fasziniert immer auch zu wissen, was die Menschen, mit denen ich spreche, wirklich fühlen; aber mit Arabern über Gefühle zu sprechen ist nicht so einfach. Die Menschen halten ihre Gefühle zurück und drücken sie nicht in der Öffentlichkeit aus. Vor nicht allzulanger Zeit arbeitete ich an einem Artikel über Familien, deren Oberhaupt über die Landesgrenze deportiert worden war. Den Frauen fiel es sehr schwer, über ihre Empfindungen zu sprechen — wie sehr sie ihre Männer, die sie monatelang nicht gesehen hatten, vermißten. Sie wissen genau, daß die Gesellschaft von ihnen verlangt, die Fassade der starken und mutigen Frau zu zeigen. Eine Palästinenserin wird nicht so leicht über ihre Schwierigkeiten sprechen, z.B. über das Kind, das mitten in der Nacht krank wird und die Unmöglichkeit, zu so später Stunde einen Arzt zu holen, weil die Nachbarn über sie herziehen würden. Sie kann auch nicht einmal ein Taxi rufen oder einen Nachbarn darum bitten, sie zu begleiten, denn sie darf so oder so nicht mit einem Fremden nachts auf der Straße gesehen werden.
Ich erinnere mich, wie ich eine Frau fragte, ob sie nicht auch eifersüchtigt sei auf ihren Mann, der irgendwo in der Ferne ohne sie lebt. Sie sagte mir, daß sie solche Gefühle unterdrückt. Und wenn die Palästinenserinnen ihre Gefühle nicht unterdrücken, dann tut es der Zensor für sie.
Ich hatte stundenlang mit diesen Frauen zusammengesessen, bevor sie mir ihre Herzen ein winziges Stück geöffnet hatten. Als mein Artikel dem Zensurbüro schließlich vorlag, wurde er von A bis Z gestrichen. Nach dem Gesetz ist die Aufgabe des Zensors, die Sicherheit Israels zu schützen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Diese weit auslegbare Definition macht sogar die Gefühle einer Frau, die von ihrem deportierten Mann träumt, gefährlich für den israelischen Staat.
Diese Bestimmungen gelten auch für Fotos. Es ist nicht nur verboten, Leute zu zeigen, die mit der Hand das V-Zeichen machen, sondern auch weinende Kinder oder eine wütende Frau. Das Bild eines bröckelnden Hauses muß eine gewissermaßen idyllische Atmosphäre ausstrahlen, damit es so aussieht, als wäre es immer schon so gewesen. Es ist auch verboten, Bulldozer zu zeigen, die gerade ein Haus plattwalzen. Der Zensor läßt ein Foto von einem gerade niedergerissenen Haus nur dann durch, wenn daneben Leute ruhig und gleichgültig sitzen, als ob nichts geschehen wäre.
Das gleiche gilt für Konfrontationen mit Soldaten. Es ist verboten, die Handlungen des Soldaten als brutale abzubilden oder die Tränen eines Kindes zu zeigen, das in ein Auto gezerrt wird. Die Verwundeten in den Krankenhäusern müssen auf den Bildern aussehen, als ob sie einfach nur krank seien; es ist nicht erlaubt anzudeuten, warum sie Wundbinden tragen. Wir wollten die Mutter eines Jungen interviewen, der am Jaffa- Tor getötet worden war, aber es ist verboten, über die Tränen einer Mutter zu schreiben.
Jede israelische Zeitung schickt einen Reporter zu dem Haus einer Familie, in der ein Jugendlicher getötet worden ist. Sie interviewen diese Familie und alle Anverwandten, jeden, der für ihn weint, seiner gedenkt und um ihn trauert. Wir [palästinensische Journalisten der arabischsprachigen Presse in Israel; Anm.d.R.] jedoch dürfen nicht dasselbe tun. Beispielsweise wurde uns verboten, in der Zeitung den unschuldigen Satz einer Mutter zu zitieren, die sagte: „Ich habe ihn nicht aufgezogen, damit er so jung stirbt.“ Dieser Satz wird vom Zensor nicht durchgelassen.
Mageda al-Batsh arbeitet für die Zeitung 'al-Usbu'a al-Jadid‘ in Jerusalem.
Die bekannteste palästinensische Schriftstellerin, die ebenfalls die doppelte Unfreiheit der Palästinenserinnen in ihren Arbeiten thematisiert, ist Sahra Khalifa. Auf deutsch liegen von ihr die Romane „Der Feigenkaktus“ und „Die Sonnenblume“ (Unionsverlag, Zürich) vor.
Copyright: 'Index on Censorship‘
Eine Schriftstellerin, die ebenfalls die doppelte Unfreiheit der Palästinenserinnen in ihren Arbeiten thematisiert, ist Sahra Khalifa. Auf deutsch liegen von ihr die Romane „Der Feigenkaktus“ und „Die Sonnenblume“ (Unionsverlag, Zürich) vor.
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