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Kein Friede für Kühnens Asche

In Kassel wurde gestern die Urne des Neonaziführers Michael Kühnen beigesetzt/ „Gauleiter“ Reisz kündigte „Verlegung“ nach Langen an  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Kassel (taz) — Versteckt hinter drei Tannen spielte ein Trompeter ordentlich falsch das „Heldenlied“: Ich hatte einen Kameraden. Die Crème de la crème der bundesdeutschen Neonaziszene hatte sich am offenen Urnengrab ihres schon im Mai des vergangenen Jahres an Aids verstorbenen „neuen Führers“ versammelt — nach einem halben Jahr im Panzerschrank fand die Urne mit der Asche von Michael Kühnen gestern auf dem Westfriedhof von Kassel ihre (vorerst) letzte Ruhestätte.

„Unsere Ehre heißt Treue“ hatte die „Braune Hilfe“ Hamburg auf die Schleifen ihres Kranzes drucken lassen. Der von seinen Kameraden „kleiner Göbbels“ genannte Christian Worsch schlug die Hacken zusammen und grüßte mit dem ausgestreckten Arm. Und zwei Rocker vom Berliner „Freizeitverein Wotan“ hatten ihr Bekenntnis auf Buttons pressen lassen: „I love Eva Braun.“ Kühnens Verlobte „Lisa“ ließ einen riesigen Kranz aus roten und weißen Nelken niederlegen. Knapp hundert Neonazis aller Altersklassen senkten die Köpfe und ließen die schwarz-weiß-roten Schleifen an den Blumengebinden flattern.

Danach hatte der „Gauleiter des NS-Führers“, Heinz Reisz aus Langen, seinen großen Auftritt: Im schweren Gestapo-Ledermantel trat der Mann, der zusammen mit Kühnen die südhessische Kommune zur „Hauptstadt der Bewegung“ küren wollte, an das winzige Grab und kündigte die „Heimholung“ der Urne an: „Dein Wunsch ist uns Befehl. Du kommst nach Langen!“

Eben darüber ist beim Verwaltungsgericht in Darmstadt ein Rechtsstreit anhängig. Die Bewegung hatte geklagt, weil Kühnen in seinem letzten Willen verlangte, dort beigesetzt zu werden. Eine Woche vor seinem Tod in der Haftanstalt Kassel II hatte Kühnen im Beisein eines Notars seinen letzten Willen schriftlich fixieren lassen. In Langen wollte er begraben sein — in der Stadt, die nach seinem ersten Willen die „erste ausländerfreie Gemeinde Deutschlands“ werden sollte. Doch die Langener Stadtväter wollten die Urne mit Kühnens Asche nicht auf ihrem Friedhof haben. Auch in Bonn-Beuel, dem Geburtsort des NS- Gründers, weigerten sich die Verantwortlichen, aus ihrem Friedhof einen Wallfahrtsort für die Neofaschistenszene zu machen. Und auch in Kassel wollte man das Häuflein Asche zunächst nicht haben. Erst ein direkt an den Friedhofsausschuß der Stadt gerichtetes Gesuch von Worch, der heute Frontmann der Hamburger „Nationalen Liste“ ist, ermöglichte die Beisetzung der Urne auf dem Westfriedhof. Zuvor hatte die Urne mit der Asche des Neonazis über Monate in einem Panzerschrank auf dem Kasseler Friedhof geruht. Das war den aufgebrachten Neonazis zu pietätlos. Das Gerichtsverfahren zieht sich nun schon seit Monaten hin.

Der Westfriedhof in Kassel dürfte also wahrscheinlich nicht die letzte Ruhestätte für den am Ende in den eigenen Reihen schwer umstrittenen Neofaschisten sein. Die Friedhofssatzung, die in Kassel verstorbenen Menschen das Recht auf eine letzte Ruhestätte in den Mauern der Stadt zusichert, ließ den lokalen Parlamentarieren allerdings zunächst keine andere Wahl.

Vor dem Friedhof demonstrierten gestern in klirrender Kälte rund 200 Autonome aus Nordhessen und Südniedersachsen gegen die Urnenbestattung und den Auftritt der Neonaziführer. Mehrere Hundertschaften der hessischen Bereitschaftspolizei hatten den Westfriedhof hermetisch abgeriegelt. Als während der Beisetzung aggressive Demonstranten auf aggressive Polizisten trafen, kam es zu überharten Schlagstockeinsätzen und Angriffen mit Hunden gegen die teilweise vermummten Antifaschisten: „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten! Haß, Haß, Haß!“

Kühnens Asche jedenfalls ruht seit gestern in unmittelbarer Nachbarschaft eines mohammedanischen Gräberfeldes. Einer der Zivilpolizisten auf dem Friedhof fand das „voll in Ordnung“. Über den Tod hinaus, so sinnierte der Beamte, dürfe es keine Feindschaft geben: „Asche zu Asche, Staub zu Staub.“ Dem konnten sich die demonstrierenden Autonomen nicht anschließen. Auch nach der Beerdigung kam es zwischen ihnen und der am Friedhof zusammengezogenen Polizei zu weiteren Handgreiflichkeiten.

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