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INTERVIEW„Kein Eid auf die Ukraine und auch keinen auf Rußland!“

■ Mit dem Kommandeur der Schwarzmeerflotte Admiral Igor Kasatonow und — anschließend — mit dem stellvertretenden Flugzeugträger-Kommandeur Hauptmann Alexej Moltschanow sprach Michail Welikoselskij auf der Kommandantur in Sewastopol

Welikoselskij: Wie ist denn jetzt die Stimmung bei der Schwarzmeerflotte?

Kasatonow: Ich diene seit zwanzig Jahren bei dieser Flotte und kenne die Bedürfnisse der Offiziere und Mannschaften. Was man jetzt mit dieser Flotte vorhat, ist ein Verbrechen. Die Situation, in der sich die Flotte befindet, ist als Folge aller möglichen politischen Spielchen mehr als gespannt.

Nur auf dem Territorium der Ukraine?

Nein, denn die Flotte ist ja auf den Territorien von fünf Republiken stationiert: in Moldawien, der Ukraine, Georgien, Rußland und Aserbaidschan. In Georgien ist es auf unseren Basen in den Orten Poti und Merija in der letzten Woche schon zu drei Angriffen auf Schiffe gekommen. Die Georgier wollen auch ihren Anteil an der Flotte. Wir sind dort gezwungen, uns zu verschanzen, Sandsäcke aufzutürmen und unsere Matrosen in Nahkampftechniken zu unterrichten. In Aserbaidschan, am Kaspischen Meer, versuchen die Kampftruppen General Dudajews, Waffen zu erbeuten. Da haben wir es auch schwer. In Moldawien wird vorläufig noch nicht geschossen. Man liefert uns dort lediglich keine Lebensmittel mehr und bezahlt uns kein Geld mehr. Aber die schlimmsten Sorgen bereitet dem Flottenkommando natürlich der ukrainische Eid. Bei unserer Flotte dienen Angehörige sechsundvierzig verschiedener Nationalitäten. Unter den Offizieren sind neunzehn Prozent Ukrainer, unter den Matrosen dreißig Prozent. Da entsteht ein Mißverhältnis. Wenn die Ukrainer den Eid ablegen — was sollen dann die anderen machen? Wir stünden dann vor dem Problem einer nur teilweise vereidigten Truppe. Wenn man von den Landstreitkräften sogar vierzig Prozent der Mannschaften nach Rußland schickte, so blieben die übrigen Teile trotzdem noch einsatzfähig. Bei der Flotte sieht das anders aus. Wenn bei einem Unterseeboot auch nur ein einziger Mensch fehlt, dann sticht es nicht in See — das ist die Vorschrift.

Versuchen Sie, mit der ukrainischen Regierung zu verhandeln?

Das versteht sich von selbst. Ich habe Krawtschuk unlängst die Frage gestellt, ob er sich der Verantwortung bewußt ist, die er auf sich geladen hat. Er antwortete, da der Beschluß nun einmal gefaßt sei, werde er sich auch daran halten.

Glauben Sie als Spezialist, daß die Ukraine zu Verteidigungszwecken überhaupt eine Flotte der von ihr beanspruchten Größenordnung braucht?

Wenn man in Betracht zieht, daß die Ukraine sich zur Nicht-Atommacht erklärt hat und daß sie keinen Gegner hat: nein. Die Schwarzmeerflotte soll den südöstlichen Einsatzbereich — früher der UdSSR und heute der GUS — schützen. Dazu gehören der Luftraum bis in den Kosmos hinein und die Sphären unter und über Wasser. Und dies nicht nur im Schwarzen Meer. Die vorderste Grenze verlief bisher im Mittelmeer, wo wir das Gleichgewicht zu einer so mächtigen Kraft wie der sechsten Flotte der USA bilden.

Und noch etwas: In den Minsker Abkommen wurde die Meeresflotte zum Teil der strategischen Streitkräfte erklärt. Unter dieser Flotte hat man bisher noch allemal vier Einzelflotten verstanden, zu denen unter anderem die unsere gehörte, die kaspischen Flottenverbände und die im Leningrader Seekriegshafen stationierten Einheiten.

Wird heute auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, Schiffe in den Stillen Ozean oder den hohen Norden zu verlegen, falls es zu keiner Einigung mit Kiew kommt?

Nein, das sind Gerüchte und Verleumdungen. So etwas kann nicht geschehen. Schiffe bestehen ja nicht bloß aus den Schiffskörpern: Dazu gehören die Basen, die Menschen und vieles andere mehr.

Von wem wird die Flotte heute mit Lebensmitteln und Kraftstoff versorgt?

Fast neunzig Prozent liefert die Ukraine, das übrige Rußland.

Wenn es nun schon zu keiner Einigung kommen sollte, haben Sie noch nicht an eine kommerzielle Nutzung der Flotte gedacht, zum Beispiel an ihren Verkauf?

Nein, das ist ausgeschlossen. Die Flotte wird der Gemeinschaft dienen. Wir werden eine Lösung finden. Weil davon nämlich das Schicksal der Menschen abhängt. Zum Verkauf, möglicherweise auch ins Ausland, sind wir nur im Falle von ausrangierten Schiffen bereit.

Wie stark ist heute die Kontrolle über die Atomwaffen?

Die Schwarzmeerflotte ist eine strategische Einsatzeinheit, also auch eine Atomraketen-Flotte. Fast alle Schiffe und Unterseeboote sind Träger taktischer Atomwaffen. Im Moment haben wir sie allerdings zurückgezogen und in Speziallagerstätten verfrachtet. Die Kontrolle ist dort sehr strikt, und die Ruhe konnte bei der Flotte bisher trotz der Spielchen der Politiker gewahrt werden.

Nach dem Abschied vom Flottenkommandeur kamen wir mit einem Seeoffizier ins Gespräch, dem Hauptmann 3. Ranges Alexej Moltschanow, einem Russen, der als stellvertretender Kommandeur eines Flaggschiffes dient, des Flugzeugträgers „Moskwa“.

Wären Sie bereit, einen Eid auf die Ukraine abzulegen?

Moltschanow: Ich bin bereit, der Ukraine auf Vertragsbasis zu dienen, aber irgendwelche Eide werde ich deshalb nicht ablegen! Wenn auch die Gesetze, die man heute in Kiew verabschieden will, für die Mehrheit der Offiziere interessant sein könnten. Die entsprechenden Entwürfe haben wir schon zu Gesicht bekommen. Sie kommen vielen Wünschen des Offizierskorps entgegen. In Rußland gibt es nichts vergleichbares. Und niemand kümmert sich ernsthaft um diese Fragen. In dieser Hinsicht stehen Krawtschuk und seine Mannschaft besser da. Von Jelzin bekommen wir im Augenblick nur eines zu sehen: die Uneinigkeit in seinem Team. Seine Erklärungen erscheinen mir eher emotional als ernst zu nehmen. Und das alles kommt ihm nicht zugute.

Gibt es heute eine Spaltung im Offizierskorps?

Unsere Hauptaufgabe und Verpflichtung ist, die Flotte in voller Kampfbereitschaft zu halten. Dafür muß das Kollektiv sich untereinander einig sein und den Anweisungen eines einzigen Chefs folgen. Von einem großen Teil der Telegramme und Erlasse, mit denen wir überflutet werden, teile ich meiner Mannschaft erst einmal gar nichts mit. Deshalb herscht auf unserem Schiff vorerst Ruhe. Natürlich diskutieren wir das Problem als solches und reden viel darüber. Und ich glaube, ich irre mich nicht, wenn ich die gemeinsame Ansicht unserer Crew folgendermaßen zusammenfasse: Wir werden keienerlei Eide ablegen, weder auf Rußland noch auf die Ukraine! Sollen doch die Politiker erst einmal untereinander klarkommen! Und dann werden wir weitersehen. Bis dahin werden wir die Befehle unseres Oberkommandeurs ausführen, den wir kennen und zu dem wir Vertrauen haben. Übersetzung: Barbara Kerneck

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