: Kein Durchkommen beim deutschen Anklingeln
■ Die Vereinigung der beiden Telefonsysteme braucht Zeit / Ende Mai werden 500 neue Leitungen für Berlin in Betrieb genommen / DDR-Bürger müssen weiter auf Neuanschlüsse warten / Sofortmaßnahmen vor allem für Geschäftsleute / Gebührenfrage noch ungeklärt
Berlin. Telefonieren zwischen Ost und West ist nach wie vor ein mühseliges Unterfangen. Der grenzüberschreitende Telefonverkehr läuft über die alten Leitungen, die schon seit Jahren überlastet sind, das Telefonnetz der DDR steht dem Mitteilungsbedürfnis der sich vereinigenden Deutschen hilflos gegenüber. Von West- nach Ost-Berlin gibt es 556 und in die Gegenrichtung 60 Leitungen, die sich die über 1,6 Millionen Fernsprechteilnehmer in ganz Berlin teilen müssen. Bis zum Juni wird sich die Chance auf ein Freizeichen immerhin verdoppeln: zwischen den beiden Berliner Fernämtern in der Dottistraße (Ost) und Winterfeldtstraße (West) wurde ein Glasfaserkabel verlegt, über das bis zu 2.400 Telefongespräche gleichzeitig geführt werden können. Knapp 500 Anschlüsse sind für Berlin vorgesehen. Ein bedarfsgerechtes Telefonnetz wird es frühestens 1997 geben. Dann soll nach den Plänen des Ministeriums für Post und Fernmeldewesen das Niveau der BRD erreicht sein.
Im Postamt am Alex kommen zur Zeit noch etwa 17 von 20 Kunden frustriert aus der Kabine. Birgit Gerlach, die am Fernsprechschalter sitzt und eigentlich Gespräche vermitteln soll, nimmt jetzt vor allem Beschwerden entgegen. Viele wollen nicht einsehen, daß mit der neuen Freiheit nicht der grenzenlose Telefonverkehr gekommen ist, sondern daß das Telefonieren noch schwieriger geworden ist. So gut wie kein Durchkommen gibt es von Ost-Berlin aus in Städte der BRD, deren Vorwahl mit einer ungeraden Zahl beginnen (also 05, 07, 09). Sie können nicht direkt angewählt werden, die Vermittlungsbemühungen enden meist auf dem Weg zum Fernamt. Auch der Telefonverkehr zwischen West-Berlin und Potsdam läuft nur über die Fernämter. In diesem Jahr sollen zu den 29 bestehenden Verbindungen etwa 100 automatische Leitungen dazukommen.
Daß sich die beiden deutschen Staaten fernmündlich kaum einen Schritt nähergekommen sind, liegt nicht allein am dünnen Leitungsnetz. Auch die beiden Wählsysteme verstehen sich nicht. Während die Deutsche Bundespost die digitale Vermittlungstechnik ausbaut, sind in der DDR noch meist sogenannte Heb-Drehwähler im Einsatz, eine Technik, die in den 20er Jahren entwickelt und nur geringfügig modernisiert wurde. Jetzt soll mit Hilfe westdeutscher Unternehmen wie Siemens und SEL gleich ein digitales Netz entstehen. Für DDR -BürgerInnen heißt das, daß auch sie dann mit Bildschirmtext, Telefax oder City-Ruf beglückt werden, obwohl die meisten nur telefonieren wollen.
Die Sofortmaßnahmen, die vom Minister für Post und Fernmeldewesen, Schnell, und seinem Amtskollegen Schwarz -Schilling eingeleitet wurden, sind in erster Linie ein Service für Geschäftsleute. Das C-Funknetz der Bundespost wird erweitert, in Kürze kann im gesamten Berliner Ring und auf der Transitstrecke über Auto- und tragbares Telefon kommuniziert werden.
Für Hans Schneider, Leiter des Fernsprechamtes Berlin, ist ein Ende des Telefon-Notstandes noch nicht absehbar. Ein Telefonsystem, das 40 Jahre lang nur den ganz akuten Bedarf gedeckt hat, könne nicht über Nacht die Bedürfnisse von Millionen befriedigen. Er mag schon nicht mehr hinsehen, wenn beim Informationsbüro in der Oranienstraße zu den Öffnungszeiten Hunderte von Antragstellern vor der Tür stehen. „Situation zur letzten Rückfrage unverändert“ ist die Standardantwort, die sie erhalten. Beschimpfungen der MitarbeiterInnen sind noch harmlose Reaktionen, es gab auch schon Tätlichkeiten. 160.000 unerledigte Antragstellungen liegen für Berlin derzeit vor, doch auch in diesem Jahr wird es, wie 1989, nur 20.000 Neuanschlüsse geben. Die freigewordenen Stasi-Leitungen (in Berlin etwa 3.000 Hauptanschlüsse) helfen da kaum weiter.
Die Erledigung der Anträge geht nach Dringlichkeit (Schwerbeschädigte, Ärzte, aber auch sich selbständig machende Geschäftsleute), nach Wartezeit und nach den technischen Möglichkeiten im Wohngebiet. Wenn das Gebiet fernmeldetechnisch schlecht erschlossen ist (wie zum Beispiel Biesdorf oder Kaulsdorf), hilft auch die längste Wartezeit nicht weiter. Dabei ist Berlin, verglichen mit dem Rest der Republik, hervorragend versorgt: auf 100 Einwohner kommen etwa 40 Anschlüsse, in Dresden sind es nur 11. Ein weiteres Problem sind die vielen Gemeinschaftsanschlüsse (in Berlin 70 % Zweieranschlüsse), die sehr störungsanfällig sind.
Telefonieren wird in absehbarer Zeit zwar nicht wesentlich besser, dafür aber teurer werden. Zu den Tarifvorstellungen will sich im Ministerium für Post und Fernmeldewesen noch keiner so recht äußern. Klar ist, daß das Ortsgespräch in der Telefonzelle ab dem 2. Juni drei West-Groschen kosten wird. Zur Zeit werden die DDR-Münzfernsprecher auf die neue Währung umgestellt, von der Deutschen Bundespost kommen für Berlin 500 öffentliche Fernsprecher samt Zelle dazu, die durch die Umstellung auf Kartentelefone freigeworden sind. Über die Höhe der Gebühren entscheidet nach wie vor das Ministerium für Finanzen. Ob die Grundgebühren (bisher 9 Mark pro Monat) und der Preis für eine Einheit (15 Pfennig) zumindest bis zum Jahresende noch konstant bleiben, ist noch nicht entschieden. Ungeklärt ist außerdem, wie die alten Telefonrechnungen bezahlt werden sollen, die Anfang Juli fällig werden. Das Telefon wird auch weiterhin keine ernsthafte Konkurrenz für den Telegramm- und Telexverkehr in der DDR darstellen. Bleibt die Frage, ob bei der zu erwartenden Erhöhung der Postgebühren zumindest hier die günstigen Tarife beibehalten werden. Ein Telegramm ist nicht Übermut, Herzklopfen oder Versöhnung, wie in der Werbung der Bundespost, sondern für die DDR nach wie vor ein unverzichtbares Kommunikationsmittel
Claudia Haas
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