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Kehrtwende im Vatikan zum „gerechten Krieg“?

■ Unter gläubigen Katholiken herrscht Verwirrung über die neue päpstliche Linie

Gerardo Nero hebt verzweifelt die Hände: „Da soll sich noch einer auskennen“, stöhnt er, und ein gutes Dutzend Mitstreiter seiner Florenzer „Basisgemeinde“, die trotz der Hitze zur Abendandacht gekommen sind, nickt. Vor vier Jahren war die Vereinigung, die sich an den Schriften und Predigten der südamerikanischen „Befreiungstheologen“ orientiert, nach Jahren böser Auseinandersetzungen mit dem Vatikan, in den Schoß der Amtskirche zurückgekehrt, „weil uns der damals absehbare Kurs des Papstes hinreichend Garantie für einen Wandel hin zu den Werten des ursprünglichen Christentums zu geben schien“. Zwar hatte der Papst weiterhin die militanteren „Befreiungstheologen“ wegen ihrer nicht ganz klaren Abgrenzung zur Anwendung von Gewalt gegen Despoten abgelehnt. „Dafür aber“, so Gemeindemitglied Walter Ambrosio, ein Gemüsehändler, „hatte er auch begonnen, die jahrtausendealte Doktrin von der Rechtmäßigkeit des Krieges und der ,gerechtfertigten Gewaltanwendung seitens des Staates‘ zu überdenken.“ In seinen letzten Lehrbriefen hatte der katholische Oberhirte in Rom gar die Todesstrafe und auch den Krieg als unchristlich abgelehnt.

Und nun das: „Da würgt er uns nun beim Angelus am Sonntag erneut die These vom ,gerechten Krieg‘ rein“, murrt Angela Bertini, eine Frau um die 60, die nach eigenem Bekunden „noch nie die andere Backe verweigert hat, wenn ich eins draufgekriegt habe“. Bosnien, so hatte der Papst gesagt, rufe nach Hilfe, und da die Verhandlungsmöglichkeiten offenbar ausgeschöpft seien, gebe es keine andere Lösung mehr als die militärische. „Und dabei verhandeln seine eigenen Nuntien doch immer noch mit dem Serbenführer Karadžić“, weiß Angela und hält il manifesto hoch, die an diesem Tag die Schlagzeile „Krieg ist nie gerecht“ trägt und vom Treffen des päpstlichen Nuntius Monterisi mit dem Serbenführer berichtet. Verwirrung allerorten, wo Katholiken sich in Sachen Bosnien zu orientieren suchen. Aus Mailand hat ein Gemeindemitglied die Erkenntnis mitgebracht, daß auch am Hofe des von allen Papstkritikern hochgeschätzen Erzbischofs Carlo Maria Martini Streit über die rechte Linie herrscht. Ein Teil der Jesuiten, zu denen Martini zählt, ist für Intervention, ein anderer legt eher fatalistisch die Hände in den Schoß und hofft auf einen baldigen Sieg, gleich von wem, damit endlich Ruhe herrscht. „Grauenhaft“, empört sich Gerardo Nero und schlägt eine Diskussion darüber vor, ob man Bosnien erneut zu einem Konfliktthema mit Rom machen soll – auf die Gefahr hin, „daß wir erneut in Ketzernähe gerückt werden“.

Eher pragmatisch sieht Gemüsehändler Ambrosio die Sache: „Ich denke, wir können ohne Schwierigkeiten laut darüber diskutieren, auch im Vatikan sind die Meinungen gespalten.“ Nur: „Im Grunde wissen wir in unserer Gemeinde ja auch nicht, welcher hier der christliche Weg ist.“

Erkennbar ist für viele, daß dem Papst die Sache wirklich nahegeht. Seine katholischen Schäflein aus Serbien entpuppen sich als Mörder und Vergewaltiger. „Gerade er, der doch seine gesamte Amtszeit als neuen Aufbruch für eine christliche Offensive in der Welt verstanden hat, muß nun Muslime verteidigen“, sagt Angela. „Und das Schlimme daran: Keiner hält sich an seine Ermahnungen.“ Werner Raith

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