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Kaum was Neues im Radio

„Cross-over“-Musik und ursprüngliche Töne fremder Kulturen finden in deutschen Sendeanstalten quasi nicht statt / Salsa-Rhythmen ja, aber bitte keine Buschmusik!  ■ Von Franco Foraci

Ein Anruf bei der Berliner Senatskanzlei, Anfang November: „Können Sie mir sagen, wann die Worldwide Music Days '93 beginnen, und wie ich da am besten hinkomme?“ Die Antwort folgt prompt. „Wild Music Days? Davon habe ich noch nichts gehört. Einen Moment bitte, ja? Ich verbinde.“ Nach einer Minute Gott sei Dank ausbleibenden Bandgedudels: „Hören Sie, die Senatsverwaltung Kultur meldet sich nicht. Wollen Sie es später noch einmal versuchen? Ich gebe Ihnen die Durchwahl.“ Nach einer halben Stunde klappt's. „Können Sie mir sagen, wann die Worldwide Music Days '93 beginnen, und wie ich da am besten hinkomme?“ Die freundliche Männerstimme weiß es zwar auch nicht, aber sie schlägt wenigstens vor: „Können wir Sie zurückrufen?“ Test bestanden. Auf den Anruf warte ich noch heute.

Dabei ist die weltweit wichtigste Messe für Weltmusikhändler, Label-Fachleute und Weltmusikbegeisterte gar nicht so weit weg von der Berliner Innenstadt vorgesehen: im Haus am Köllnischen Park, vom 11. bis 14. November. Sie läuft also seit ein paar Tagen. Das Telefonat wurde eine Woche vorher geführt. Hätte es sich um die größte deutsche Musikmesse (POPKOMM), die diesen Sommer in Köln stattfand, gehandelt, wäre das nicht passiert. Die Zeitungen hatten schon lange im voraus darüber berichtet.

Weltmusik, was ist das? Das fragen sich nicht nur uninformierte Stadtbedienstete oder Zeitungsredakteure, sondern – und das ist viel gravierender – Programmverantwortliche deutscher Sendeanstalten. Weltmusik, die Klangwelt fremder Kulturen, kommt in den deutschen Radiosendungen in der Regel als Tango, italienisches Geschnulze oder synthetisiertes Flamenco daher. Die rätselhaft durchdringenden Stimmkünste der „Mystères des voix bulgares“ (ein Frauenchor aus Bulgarien), der wunderbar zu tanzende arabische Pop eines Chep Kalet aus Algerien oder die faszinierenden Rhythmen einer lebenden afrikanischen Musiklegende wie Youssou N'Dur haben in der deutschen Radiolandschaft keine guten Karten.

Das krasseste Beispiel in dieser Hinsicht ist Bayern: Hier wird Amerikanisches, Italienisches und vor allem Deutsches gespielt. Anderes kommt nicht in den Äther. Die Musikzeitschrift folk michel veröffentlichte vor zwei Jahren eine Zahl, die mehr sagt, als Kommentare vermögen. Danach brauchen passionierte Radiohörer etwa ein Jahr, wollen sie (in Sendeminuten gerechnet) soviel Musik fremder Kulturen genießen, wie es Hörern aus Berlin und Köln an nur einem Tag möglich ist.

Peter Pannke, Weltmusikexperte und Mitorganisator der World Music Days, berichtet in einem Aufsatz von einem für den Bayerischen Rundfunk offensichtlich nicht untypischen Fall. Ein Musikredakteur hatte sich vor einigen Jahren erdreistet, eine afrikanische Percussionnacht ins Programm zu nehmen. Von einem wütenden Hüter bayerischer Kulturtradition aus den höheren Verwaltungsetagen des Senders bekam der Redakteur eine heftige Rüge erteilt: „Buschmusik wollen wir im Bayerischen Rundfunk nicht hören!“

In den Programmgrundsätzen, so Pannke, habe zwar auch damals schon gestanden, daß der Bayerische Rundfunk „den Rundfunkteilnehmern einen objektiven und umfassenden Überblick über das internationale, das nationale und das bayerische Geschehen in allen Lebensbereichen“ zu geben habe. Die Sendungen, heißt es weiter in der Satzung, sollen „von demokratischer Gesinnung, von kulturellem Verantwortungsbewußtsein, von Menschlichkeit und Objektivität getragen sein und der Eigenart Bayerns gerecht werden“. Was die Musik der Welt angehe, schreibt Pannke, sei mit diesem alten Intendanten nur der letzte Passus in den Sendeplätzen des Bayerische Rundfunk zum Tragen gekommen. Heute gehe es wieder aufwärts: Dreimal im Jahr würden „Außereuropäische Nächte“ veranstaltet, und „außereuropäische Musik“ sei einmal monatlich im Programm. Hauptverantwortlich zeichnet hier sogar die Redaktion E-Musik. Ein Fortschritt ...

Es geht auch ganz anders. Im WDR werden zehn Stunden pro Woche mit fremden Wohlklängen bestritten. Der Kölner Sender verfügt als einziger über eine Weltmusikredaktion innerhalb der Sparte „Volksmusik“, die im WDR nur im weitesten Sinn ausgelegt und nicht als eine treudeutsche Pflege von Volksliedkantaten betrachtet wird. Die Weltmusik-Sendeplätze kommen so gut an, daß der WDR eine größere Hörergemeinde dazugewonnen hat.

Jan Reichow, der Leiter dieser Sendung, will seinen Hörern aber nicht nur die Töne anbieten, er hat dazu noch den Anspruch, die Hörer über Hintergründe und Bedeutung, geschichtliche Veränderungen und aktuelle Entwicklungen im Bereich Weltmusik zu informieren. Die Sendung „Musikatlas“ zum Beispiel erstellt ein musikethnographisches Bild unseres Globusses. „Stadtklänge“ will den Trends traditioneller Musik in den großen Metropolen außereuropäischer Staaten und Kulturen nachspüren. Dazu schwärmen freie Mitarbeiter in die ganze Welt aus und machen „Aufnahme-Reisen“, tauchen ein in den musikalischen Alltag indischer Stämme und Sprachkolonien oder persischer Regionen. „Wir möchten, daß unsere Hörer sich auch mit der Kultur beschäftigen, aus der sie ihren Musikspaß nehmen. Sonst funktionieren die fremden Klänge nur als Gewürze, als neue Reize für ein übersättigtes Publikum“, erklärt Jan Reichow.

Der Sender Freies Berlin plant eine multikulturelle Welle, und führt aus diesem Grund derzeit Gespräche mit dem „Haus der Kulturen der Welt“ (siehe Portrait), um eine Zusammenarbeit auf die Beine zu stellen. Das Kulturhaus in der „schwangeren Auster“ hat zu vielen außereuropäischen Musikgruppen und Musikverlagen gute Kontakte. Die Multikulti-Welle würde sich ohne Weltmusikprofil nicht von den kommerziellen Sendern abheben können. Das wissen die Verantwortlichen. Vorerst sind das aber nur Gedankenspinnereien, weil über die Vergabe von Frequenzen und eventuelle Finanzierungen dieser Welle wenig entschieden ist. In seinem zweiten Programm strahlt der SFB regelmäßig die „World Music Charts Europe“ aus.

Weltmusik wird im Hessischen Rundfunk in der E-Musik zwar genausowenig groß geschrieben wie in anderen öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäusern, aber offiziell immerhin eine Stunde in der Woche gesendet. Inoffiziell mindestens viereinhalb Stunden wöchentlich, wenn man die Sendungen des in dieser Hinsicht sehr aktiven Ausländerprogramms dazuzählt. Die Ausländerredaktion des Hörfunks setzt Weltmusik in ihren zwei politischen Magazinsendungen „Gesellschaftsforum – ein Magazin für multikulturelle Fragen“ (hr 2) und „Rendezvous in Deutschland“ (hr 4, SR, SFB, WDR) ein.

Juan Esteller, dienstältester Mitarbeiter und einer der drei Musikexperten der Ausländerredaktion im HR, sieht in der Musik fremder Kulturen auch ein Mittel, um berechtigte Forderungen politischer Minderheiten „über das Gefühl“ zu thematisieren.

„Weltmusiker werden für mich interessant, wenn sie Musik machen, die Forderungen stellt. Damit will ich nicht sagen, daß sie zur Revolution aufrufen sollen. Die Musik soll kulturelle Identität vermitteln, und deren Texte sollen demokratisch sein. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Weltmusiker je Freund eines Diktators werden kann“, so Juan Esteller. Weltmusik sei zwar ein undefinierter Begriff für Musik fremder Kulturen, aber ohne die emanzipatorische Komponente schwer denkbar. „Alles andere ist entweder kommerzieller Pop mit ein bißchen ethnischem touch wie bei Peter Gabriel, der ein paar Geräusche von Urvölkern in seine Musik einarbeitet und deswegen glaubt, Weltmusiker zu sein, oder banalisierte Volksmusik nach Art der Gypsi Kings.“ Flamenco und die sizilianische Tarantella (Reigentanz), sagt der spanische Journalist, seien noch lange keine Weltmusik, wenn sie nicht mit einem gewissen Anspruch präsentiert würden und nicht schlecht gespielte oder schlecht vorgetragene Unterhaltung bedeuteten.

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