Kaum politisches Asyl für Homosexuelle: Schutz unter Vorbehalt
Homosexuelle erhalten in der EU nur selten politisches Asyl. Die Studie „Fleeing Homophobia“ zeigt, dass die Anträge nach klischeehaften Maßstäben beurteilt werden.
BERLIN taz | Eigentlich wollte Europa ja toleranter werden. Wer in seiner Heimat aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder seiner geschlechtlichen Identität verfolgt wird, der erhält Asyl, heißt es in der sogenannten Qualifizierungsrichtlinie der EU, die seit 2006 in Kraft ist. Doch in der Praxis hat sich seither nur wenig geändert.
„Eher selten“ werde in Deutschland eine begründete Furcht vor Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung „glaubhaft vorgetragen“, antwortete die Bundesregierung kürzlich auf eine Anfrage der Linkspartei. Mit anderen Worten: Homosexuelle Flüchtlinge können in Deutschland noch immer nur selten auf Asyl hoffen.
Wissenschaftler der Freien Universität Amsterdam haben kürzlich untersucht, wie die Staaten der EU mit homosexuellen Flüchtlingen verfahren. Ihre Studie Fleeing Homophobia ist im Oktober 2011 erschienen und liegt inzwischen auch in deutscher Übersetzung vor. Das Ergebnis ist ernüchternd: Allein Italien wertet es bereits als Asylgrund, wenn homosexuelle Handlungen im Herkunftsland unter Strafe stehen, was in 76 Staaten der Welt der Fall ist.
Die meisten EU-Partner sind weit weniger großzügig. Obwohl gleichgeschlechtliche Beziehungen von Nigeria über Pakistan, Jamaika und Kenia bis Senegal strafbar sind, betrachtet die Bundesrepublik diese Länder für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle als relativ sicher.
Todesstrafe reicht nicht aus
Sogar dass die Todesstrafe Homosexuellen in theokratischen Staaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien droht, reicht längst nicht aus, um Asyl zu erhalten.
Die Bundesregierung etwa verweist darauf, dass weder aus dem Iran noch aus anderen Ländern in den vergangenen Jahren Hinrichtungen aus diesem Grund bekannt geworden seien. Tatsächlich liegt der letzte Fall im Iran, der weltweit für Aufsehen sorgte, sieben Jahre zurück: Zwei Jugendliche waren damals – unter anderem wegen „homosexueller Handlungen“ – in der Stadt Marschad öffentlich gehängt worden.
Deutsche Gerichte gehen trotzdem meist davon aus, dass Homosexuellen im Iran keine echte Gefahr droht, „solange sie nicht die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden auf sich ziehen“, wie es in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aus dem Jahre 2009 heißt.
Dieses Urteil sei „in der Tendenz typisch“, auch wenn es „selten so drastisch“ formuliert werde, sagt der Berliner Anwalt Dirk Siegfried. Für homosexuelle Iraner seien die Chancen auf Asyl hierzulande zwar besser als für homosexuelle Flüchtlinge aus anderen Ländern, so der Anwalt, der häufig solche Fälle vertritt. „Eine Garantie ist das aber nicht.“
Die meisten homosexuellen Asylbewerber fliehen zudem gar nicht in erster Linie vor staatlicher Verfolgung, sondern aus Angst vor Verwandten, Milizen oder einem homophoben Mob, der sie bedroht. Auch das gilt nach EU-Recht als legitimer Asylgrund. Doch wo zieht man die Grenze zwischen bloßer Diskriminierung, die man ertragen kann, und akuter Verfolgung?
Um diese Frage zu beantworten, stützen sich deutsche Asylbehörden vor allem auf Lageberichte aus dem Auswärtigen Amt. Diese seien zwar „besser geworden, aber oft einseitig“, findet der Berliner Anwalt Dirk Siegfried. Menschenrechtsgruppen wie Pro Asyl und auch der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) kritisieren den deutschen Umgang mit homosexuellen Flüchtlingen deshalb als zu strikt.
Zwar bestehen deutsche Gerichte nicht mehr, wie es früher oft war, darauf, dass eine Homosexualität „irreversibel“ sein muss: Das kommt bisexuellen Aktivisten wie dem Ugander Eric Bwire (siehe rechts) oder solchen Flüchtlingen, die erst in Deutschland ihr Coming-out erlebt haben, entgegen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) betont außerdem, die Anhörung homosexueller Flüchtlinge würde von Sonderermittlern durchgeführt, die eigens für diese Aufgabe geschult seien.
Studie Fleeing Homophobia
Aber aus der Studie Fleeing Homophobia geht hervor, dass Asylanträge von homosexuellen Flüchtlingen vielerorts noch immer nach klischeehaften Maßstäben beurteilt werden: Wer sich als Mann nicht „tuntenhaft“ verhält, als Frau nicht maskulin genug wirkt, wer verheiratet ist und sogar Kinder hat, dem wird oft nicht geglaubt, tatsächlich homosexuell zu sein.
Die Linkspartei fordert deshalb nun, Deutschland müsse homosexuellen Flüchtlingen „vorbehaltlos einen sicheren Schutz zu gewähren, wenn ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität im Herkunftsland strafrechtlich kriminalisiert wird“. Einen entsprechenden Antrag hat die Linke gestern in den Bundestag eingebracht, in den nächsten Monaten soll er dort diskutiert werden. „Es darf in der Asylpraxis keine Rolle spielen, ob Flüchtlinge ihre Homosexualität im Herkunftsland angeblich im Verborgenen leben können oder nicht“, sagt dazu Ulla Jelpke von der Linkspartei.
Damit ist sie ganz auf der Linie der Autoren, die den Report Fleeing Homophobia verfasst haben. Die Gefahr, dass Flüchtlinge eine angebliche Homosexualität vortäuschen könnten, um Asyl zu erlangen, sieht die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion nicht: „Das halte ich für abwegig – nicht zuletzt angesichts der enormen Stigmatisierung von Homosexualität in den Herkunftsländern der Betroffenen“, sagt sie. „Doch selbst wenn dies im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden kann, darf dies natürlich nicht dazu führen, Schutzbedürftigen den Schutz zu verweigern.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken