piwik no script img

Katrin Seddig Fremd und befremdlichSollen wir unsere Kinder im Fasching nicht erziehen?

Foto: Lou Probsthayn

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Der Fasching lässt mich nicht los. Ich gehe doch gar nicht zum Fasching. Was soll das also? Warum lässt mich der Fasching nicht los? Ich verkleide mich auch nicht gern. Ich spiele nicht gern eine Rolle. Ich habe noch nie in einem Theaterstück mitgespielt. Aber ich habe einige Faschingskostüme anfertigen müssen, weil ich Kinder habe. Im Kindergarten wird eigentlich immer Fasching gefeiert, das ist ein großer Spaß für die Kinder, oder auch nicht.

Als mein Sohn an seinem ersten Kinderfasching teilnahm, wollte er sich als eine Blume verkleiden, weil er an Blumen etwas Schönes fand. Schon auf diesem ersten Fasching musste er einsehen, dass es für einen Jungen das einzig Angemessene, Richtige und Akzeptable war, als ein Superheld, als ein Cowboy oder Indianer zu gehen, auf jeden Fall als jemand Wehrhaftes, jemand mit Waffe. Als eine dreijährige Blume wurde er das erste Mal in seinem Leben für seinen Geschmack von anderen Jungen ausgelacht.

Wenn also Eltern mir erzählen, dass ihr Kind ganz von allein und unbeeinflusst den Wunsch hegte, als ein Indianer zum Fasching zu gehen, dann nicke ich nur, weil ich annehme, dass Eltern, die allen Ernstes glauben, dass ein Kind in irgendeiner Hinsicht wegen irgendeiner Sache „unbeeinflusst“ eine Entscheidung treffen könne, intellektuell und emotional nicht in der Lage sind, ein vorurteilsfreies, sachliches Gespräch zu diesem Thema zu führen.

Wenn ein Kind als ein Baby auf die Welt kommt, dann kennt es keine Indianer. Es kennt Indianer erst, wenn wir sie ihm zeigen, wie wir ihnen unser Gesicht zeigen, die Welt. Wir, das sind nicht nur Eltern und Geschwister, das sind auch die anderen Kinder, die anderen Eltern, die Nachbarn, und vor allem – die Medien in ihrer übergroßen Präsenz.

Und dann tönt es von überall, ich habe das jetzt ungefähr zwanzigmal schon gelesen und gehört, diesen unseligen und unfassbar dummen Satz: „Lasst die Kinder doch Kinder sein.“ Was soll das bitteschön heißen? Wenn wir in irgendeiner Weise, pädagogisch, moralisch, Einfluss nehmen dann stören wir sie, dann behindern wir sie in ihrem Kindsein?

Wenn also eine Kita jetzt den Eltern anempfiehlt, wie in Hamburg geschehen, von stereotypen, diskriminierenden Kostümen abzusehen, dann werden also die Kinder dieser Eltern in ihrer freien kindlichen Entfaltung gestört? Soll dieser Satz das bedeuten? Wenn wir sie also erziehen, indem wir ihnen, zum Beispiel, etwas nicht erlauben, dann lassen wir sie keine Kinder mehr sein? Ich verstehe das einfach nicht.

Wenn wir also dem kleinen Karl nicht erlauben, die kleine Lisa zu treten, dann lassen wir ihn kein Kind mehr sein? Wenn wir der kleinen Lisa nicht erlauben, mit Filzstiften die U-Bahn zu bemalen, lassen wir sie dann kein Kind mehr sein? Wenn wir unsere Kinder erziehen, ihnen die Welt erklären, sie nach unseren Wertevorstellungen formen, dann versagen wir ihnen das Kindsein? Oder gilt das nur für den Fasching?

„Lasst die Kinder doch Kinder sein.“ Was soll das bitteschön heißen?

Sollen wir unseren Kindern schon beibringen was richtig und was falsch ist, aber nicht im Fasching? Und was würden wir ihnen damit vermitteln? Im Fasching gelten keine Regeln? Alles was sonst nicht erlaubt ist, ein bisschen Rassismus, ein bisschen sexuelle Belästigung, ein bisschen Verprügeln, im Fasching alles erlaubt? Ein bisschen Spaß muss sein? Ich will gar nicht darauf eingehen, ob ein Indianerkostüm irgendwem schadet, ob es nun diskriminierend ist oder nicht, mich interessiert nur dieses Argument, dass eine moralische Vorgabe die Kinder nicht mehr Kinder sein lässt, dass am Fasching der Wunsch nach Gerechtigkeit nicht legitim ist, weil er den Feiernden die Laune verdirbt. Da komme ich nicht mit.

Ich meine nämlich, dass moralische Normen immer – und das gilt gerade im Ausnahmezustand – als eine regulierende Instanz in uns vorhanden sein müssen. Damit wir nämlich innerhalb solcher Lustbarkeiten, später, und als Erwachsene, im Übermut und damit einhergehendem Kontrollverlust nicht jemanden verletzen. Denn die Unversehrtheit anderer ist immer mehr wert als meine Lust.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen