piwik no script img

Katrin Seddig Fremd und befremdlichWir sind nicht wohltätig, wenn wir Flaschen abstellen, wir sind bequem

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Bei mir zu Hause, in meiner sehr kleinen Küche, da schrumpft der begehbare Teil des Fußbodens, aufgrund des sich ansammelnden Pfandglases. Ich muss das Pfand zu Fuß wegschaffen, mein Fahrrad ist gerade kaputt, und deshalb habe ich diesen Notstand. Ich habe schon daran gedacht, das ganze Pfand auf die Straße zu stellen. Dann wäre das Problem rasch gelöst. Es würde jemand kommen und es wegbringen, jemand, dem das Pfandgeld es wert ist.

Wenn ich unterwegs bin, dann stelle ich leere Flaschen an oder auf den Mülleimer. Ich nehme Flaschen niemals mehr mit nach Hause. Früher hätte ich das nicht getan. Früher hat man all seine Pfandflaschen selbst weggebracht. Heute ist es anders. Heute bestätigt man sich gegenseitig in seinem guten Gefühl, wenn man seine Pfandflasche an einen Mülleimer stellt, obwohl auch heute die Motivation größtenteils Faulheit ist. Bei mir jedenfalls.

Den Flaschensammler hat es damals fast noch nicht gegeben. Jetzt ist die Flaschensammlerin eine Art von Beruf geworden. Es sind nicht nur Obdachlose, die Pfand einsammeln, es sind verschiedenste Menschen, die einen Erwerb daraus gemacht haben, dieses Geld von der Straße einzusammeln. Ich habe als Kind manchmal Geld auf der Straße gesucht, ich habe so lange danach gesucht, an den Bushaltestellen, auf den Wegen, bis ich welches gefunden habe. Manchmal habe ich eine ganze Mark gefunden, das war mein wöchentliches Taschengeld.

Aber Flaschensammeln ist etwas anderes. Es ist eben eben doch kein bares Geld. Ich weiß das auch deshalb, weil mich die Menge der Pfandflaschen in meiner Küche mittlerweile quält. Flaschen sammeln ist Arbeit. Die Flaschen einzusammeln, sie zu schleppen, sie dann an den entsprechenden Orten abzugeben, das ist eine Arbeit. Genau deshalb, weil es Arbeit ist, liegen ja diese Flaschen in meiner Küche. Eine Flaschensammlerin VERDIENT sich ihr Geld.

Ich denke, es ist wichtig, sich das bewusst zu machen. Wir sind nicht wohltätig, wenn wir Flaschen abstellen, wir sind bequem. Wir lassen uns diese Bequemlichkeit etwas kosten. Ähnlich wie, wenn wir uns die Schuhe putzen lassen, die Wäsche waschen, den Hund ausführen, wir könnten es selbst machen, aber wir wollen nicht. Das ist in Ordnung. Wir sollten nur auf diese Dienstleister nicht herabsehen.

Ich las in der Hinz & Kunzt, dass in Hamburg das Pfandregal gescheitert sei. Diese Pfandregale wurden versuchsweise an den Mülleimern angebracht. 100.000 Euro hatte die Bürgerschaft dafür lockergemacht, immerhin. 100.000 Euro, um das Flaschensammeln zu erleichtern. Aber sie hätten sich nicht bewährt, sagt die Stadtreinigung. Es läge zu viel Müll darin. Die Reinigung wäre zu aufwendig. Was kann man dazu sagen? Die Pfandregale waren eine gute, eine sehr gute Sache. Sie erleichterten die Arbeit der Pfandsammler und machte sie ein wenig würdevoller.

Die Leute gehen so dahin, produzieren Müll und stopfen ihn in das erstbeste Loch

Aber die Menschen sind Schweine. Natürlich legen sie ihren Müll in diese Ablagen. Sie legen ihren Müll auch in meinen Fahrradkorb. Jeder, der ein Fahrrad mit Fahrradkorb hat, der kennt das. Ich habe schon angebissene Burger und Fritten und halbvolle Colaflaschen, sogar Hundekacktüten (gefüllt) in meinem Fahrradkorb vorgefunden. Die Leute gehen so dahin, produzieren Müll und stopfen ihn in das erstbeste Loch. Es ist ja nicht ihr Loch. In ihrer Wohnung ist es sauber. Alles andere ist ihnen egal. Den meisten Leuten geht der Teil der Welt, der nicht ihr Teil der Welt ist, am Arsch vorbei. So ist das leider. Aber was soll man mit diesen Leuten machen?

Das ist eine große Frage, und sie wird immer größer, angesichts der Ertrunkenen im Mittelmeer zum Beispiel. Was zum Teufel soll man mit diesen mangelhaft erzogenen, mangelhaft empathischen, geradezu unmoralischen Menschen nur tun? Sich ihre Erziehung zur Aufgabe machen? Belehren, aufklären, ein Vorbild sein? Das ist ja das, was derzeit genau diesen Menschen am meisten verhasst ist. Ich bin ein viel zu schwacher Gutmensch, ich bin müde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen