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Katrin Seddig Fremd und befremdlichEs ist kompliziert mit der Freiheit. Wer entscheidet, wann ein Kind eingeschult werden soll?

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Wenn man mit Kindern zu tun hat, dann stellt man fest, dass sie sich sehr unterschiedlich entwickeln. Obwohl sie vielleicht gleich alt sind und in dieselbe Kindergartengruppe gehen, können sie ganz unterschiedliche Sachen. Aber Kinder müssen immer irgendwo zugeordnet werden, ganz genau wie Erwachsene.

Ich, zum Beispiel, war einmal eine Angestellte. Ich gehörte einem Sportverein an. Ich war Studentin und Teil einer ehelichen Gemeinschaft. Manche Zugehörigkeiten liefen gut, andere nicht. Man macht ja Fehler. Mit den Kindern macht man auch Fehler. Manchmal sind Kinder noch gar nicht an dem Punkt, wo sie, zum Beispiel, in eine Schule gehören, weil sie den Anforderungen einer Schule noch nicht so gut gewachsen sind. Sie sollten es sein, weil sie das Alter erreicht haben, bei dem man im Allgemeinen davon ausgeht, im Besonderen sind sie es aber doch nicht. Oder sie sind es schon viel früher.

Deshalb begrüße ich, dass der nagelneue niedersächsische Kultusminister Grant Hendrik Tonne die Stichtagregelung für die Schulpflicht in Niedersachsen aufheben will. Mehr Spielraum sollen die Eltern, soll die Schule bekommen. Das ist gut. Das ist aber auch schwer. Denn jemand muss die Einschätzung treffen.

Freiheit ist kompliziert und anstrengend

Ich erinnere mich an ein Gespräch im Kindergarten, das die Erzieher mit Eltern führten, weil sie der Meinung waren, dass das durchaus große und intelligente Kind besser noch ein Jahr in den Kindergarten gehen solle, weil dieses große und intelligente Kind in seiner sozialen Entwicklung noch nicht so weit sei. Die Eltern waren tatsächlich erleichtert, weil sie ähnliche Empfindungen hatten, und sie stellten den Antrag, das Kind zurückzustellen.

In diesem Jahr entwickelte sich das Kind sehr gut und ging mit besseren Voraussetzungen in die Schule. Das ist ein Beispiel dafür, dass es richtig ist, flexibel zu sein und die Einschulung nicht von einem Stichtag, sondern von der Entwicklung des Kindes, von der Einschätzung kompetenter Menschen abhängig zu machen.

Das Schlechte an der Freiheit aber ist, dass sie kompliziert und anstrengend ist. Darum sind wir so gern Automaten. Ich meine, jemand muss diese Einschulungsentscheidung treffen, und ich weiß nicht, wie kompetent, zum Beispiel, Eltern sind, ihre Kinder objektiv zu beurteilen. Ich glaube fast, nicht sehr. Aber das wäre ein anderes Thema.

Größere Freiheit oder „Flexibilität“ soll es auch hinsichtlich der Inklusion in Niedersachsen geben. Die Inklusion soll nicht ausgesetzt werden, wie die CDU gefordert hatte, aber sie soll momentan eine Art Wahlmodell sein. Die Förderschulen Lernen soll es erst einmal weiter geben, obwohl diese Förderschulen von der UNO sehr kritisch gesehen werden und obwohl auch Deutschland bisher wenigstens bestrebt zu sein schien, stattdessen die inklusive Beschulung voranzutreiben.

Inklusion ja, aber so nicht

Ich habe das Modell der Inklusion in einer Hamburger Gesamtschule eine Weile im Unterricht erleben dürfen, und ich konnte nicht feststellen, dass irgendjemand davon profitierte. Ich habe gesehen, wie Kinder hilflos in einer Klasse saßen, in der es außerdem erstaunlich viele „verhaltensauffällige“ Kinder gab, in der der/die Lehrer/in sehr damit beschäftigt war, die Disziplin immer wieder aufs Neue herzustellen, um unter diesen schwierigen Bedingungen einen Unterricht zu gestalten, dem die Ersteren nicht im Ansatz folgen konnten.

Und deshalb hört man es immer wieder und von allen Seiten, dieses: „Inklusion ja, aber so nicht.“ Es gibt ganz sicher andere, bessere Beispiele für eine gelungene Inklusion, und das braucht vor allem Personal. Aber wenn sie so mangelhaft aussieht wie beschrieben, dann kann ich verstehen, wenn sich Eltern für die Sonderschule entscheiden. Auch wenn das gegen das Recht des Kindes auf Inklusion verstößt.

Schwierig ist das alles. Vielleicht hat Herr Tonne ein paar gute Ideen. Er hat, wie ich las, selbst vier Kinder. Da ist er ja nah dran, am Leben.

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