Katrin Seddig Fremd und befremdlich: Die Leute stehen tatsächlich an einem Sonntag in einer Schlange an, um sich etwas zu kaufen
Am Sonntag war ich auf einem Flohmarkt in einem Parkhaus. Es war zugig, kalt geradezu, es roch ein bisschen nach den Resten von Öl und Benzin, die in den Jahren in den Beton gesickert waren, und ich kaufte ein paar Sachen. Eine Blumenvase, die einen ganz kleinen Riss hatte, zum Beispiel.
Ich kaufte einen Fotoband von 1984 über San Francisco, einen violetten Pullover mit Goldrand am Ausschnitt und eine amerikanische Doppellangspielplatte von Charlie Parker und Dizzy Gillespie. Ich bezahlte für all das zusammen zwölf Euro. Ich verbrachte wenigstens eineinhalb Stunden auf dem zugigen Parkdeck und führte einige Gespräche.
Ich sah mir Elfenbeinohrringe an, die angeblich noch aus der Zeit von vor dem Ersten Weltkrieg stammten. Ich sah einen Mann, der die ganze Zeit brüllte, jedes Wort, das er an seine Begleiterin oder die Flohmarktverkäuferin richtete, brüllte er. Er meinte es nicht böse, es war nur seine Art, sich auszudrücken. Aber über all dem Lärm und Gewimmel lag eine große Ruhe.
Dann war ich in der Innenstadt, da war verkaufsoffener Sonntag und das ist etwas Erschreckendes. Der verkaufsoffene Sonntag ist so etwas wie ein Montag. Aber nicht wie ein Montagvormittag, wo die Geschäfte noch verhältnismäßig leer sind, eher wie ein Montag gegen Feierabend, gegen 16 oder 17 Uhr vielleicht. Es war Verkehr auf den Straßen, es waren Leute in den Geschäften. Ich war kurz verwirrt, dann ging auch ich in ein Geschäft und sah mich um.
Es ist so, dass die Leute an einem verkaufsoffenen Sonntag kaufen. Vor den Kassen standen kleine Schlangen. Die Leute stehen tatsächlich an einem Sonntag in einer Schlange an, um sich etwas zu kaufen. Sie könnten zu Hause sitzen, die Beine hochlegen, mit den Kindern Trickfilme gucken oder dösen, aber sie ziehen es vor, am Sonntagnachmittag an einer Kasse anzustehen, um etwas zu kaufen. Das gefällt ihnen besser.
„Der Sonntag ist ein Familientag“, sagt im NDR irgendein Verkäufer im Interview, „da können die Leute gemütlich durch die Geschäfte bummeln und einkaufen.“ Diese ganze Diskussion ist jetzt ein Thema, wieder einmal, weil irgendwelche großen Geschäfte oder Ketten in Niedersachsen gerne mehr verkaufsoffene Sonntage hätten, als die vier, die es bisher gibt. 20 verkaufsoffene Sonntage zum Beispiel hätten diese großen Geschäfte gerne oder wenigstens zehn. Die Gewerkschaften sind dagegen. Die Gewerkschaften müssen sich für ihre Mitglieder einsetzen, die am Sonntag auch gerne einen Familientag hätten. Die Kunden, so argumentieren die großen Häuser, haben doch am Sonntag viel mehr Zeit zum Einkaufen. Das stimmt natürlich.
Ich denke, in diesem Zusammenhang könnte man doch auch mal darüber nachdenken, die Krankenkassen am Sonntag zu öffnen. Als ich noch arbeiten ging, hatte ich kaum Zeit, die Krankenkasse zu besuchen oder die Behörden. Die Behörden sollten unbedingt am Sonntag öffnen, denn wie sollen die Menschen unter der Woche ein Auto anmelden, wenn sie gar keine Zeit dafür haben? Am Sonntag könnten sie mit der ganzen Familie schön gemütlich sich in der Behörde anstellen, um ein Auto anzumelden.
Ich kann mir auch vorstellen, dass man sich am Wochenende gerne von der Kosmetikerin verwöhnen oder sich irgendwo eine schöne Massage geben lässt, deshalb sollten die Kosmetikstudios, die Nagelstudios und auch die Frisöre am Sonntag geöffnet haben. Am Sonntag haben einfach die meisten Leute mehr Zeit, zum Frisör zu gehen, das ist nun mal so. Sie sind nicht so gehetzt.
Außerdem sollten die Kfz-Werkstätten geöffnet haben, dann bräuchten die Leute nicht nach Feierabend, wo der Verkehr so dick ist, ihr Auto in die Werkstatt bringen. Sie könnten schön mit der Familie zur Werkstatt fahren, danach noch eine Pommes essen, und Opa holt sie dann alle bei der Werkstatt ab.
Man könnte eigentlich insgesamt für alle Branchen den Sonntag abschaffen, damit alle Leute gemütlich am Sonntag alles machen können, was sie sonst unter der Woche nur ungemütlich und gehetzt zu machen in der Lage sind. Wäre das nicht eine schöne Sache?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen