Katholisch ohne Kirchensteuer: "Leben wir nun in ewiger Sünde?"
Dieter und Theresia K. halten die Kirchensteuer für falsch. Als gläubige Katholiken wollen sie aber in der Kirche bleiben. Protokoll eines gescheiterten Dialogs mit dem Bischof von Osnabrück.
HAMBURG taz | Dies ist die Geschichte eines Briefwechsels, der über Wochen und Monate zwischen dem Emsland und Osnabrück, zwischen dem Rentnerehepaar K. und dem Sitz von Bischof Franz-Josef Bode hin- und hergeht, am Schluss von der einen Seite auf Büttenpapier geschrieben, was die andere Seite als Teil des Problems kritisiert.
Die Geschichte beginnt im Sommer 2010, als Theresia K. dem Pfarramt ihrer Kirchengemeinde eine paradoxe Mitteilung macht. Sie habe, schreibt die Rentnerin, ihren "Kirchenaustritt vor der Kirchensteuer" erklärt. Das ändere jedoch nichts an ihrem Glauben. "Ich werde auch weiterhin an den Sakramenten teilnehmen, und meinen Glauben an Gott auf meine Weise bezeugen."
Im Sommer 2010 wird die katholische Kirche in Deutschland von einer Austrittswelle heimgesucht. Es ist die Zeit der Missbrauchsskandale, von denen auch das Bistum Osnabrück betroffen ist. "Warum", schreibt Theresia K. an das Bistum, "soll ich Kinderschänder in der Kirche finanzieren, und auch noch Entschädigungen an die Opfer dieser perversen, kirchlichen Mitarbeiter?"
Die Kirche, findet Theresia K., solle sich durch freiwillige Spenden finanzieren. In anderen Ländern ist dies der Fall, in Frankreich etwa gebe es gar keine Kirchensteuer, in Italien könnten die Gläubigen wählen, ob sie der Kirche ihre Sozialsteuer geben oder nicht - ohne Konsequenzen für ihre Mitgliedschaft. Nur in Deutschland gebe es das Junktim zwischen Kirchensteuer und Kirchenmitgliedschaft, was sie "als Unverschämtheit empfinde".
Schließlich, argumentiert Theresia K., sei die katholische Kirche nicht irgendein Verein, sondern eine weltweite Glaubensgemeinschaft, in die sie, Theresia K., kraft ihrer Taufe aufgenommen worden sei. Sie bitte daher um die Bestätigung, "dass ich weiterhin der röm.-kath. Kirche angehöre".
In Deutschland wurde die Kirchensteuer im 19. Jahrhundert eingeführt.
Den Anfang machte 1827 Lippe-Detmold, es folgten Oldenburg und die preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen.
Als letzter deutscher Staat zog Preußen 1905 eine Kirchensteuer ein.
Voraussetzung für die Einziehung der Kirchensteuer ist derzeit die Anerkennung einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Zuständig sind die Bundesländer, sie müssen den Steuergesetzen der Kirchen zustimmen.
Steuerpflichtig sind in Deutschland unter anderem die Mitglieder der evangelischen Landeskirchen, der katholischen Kirche und der jüdischen Gemeinden.
Der Verzicht auf die Kirchensteuer wird vor allem von evangelischen Freikirchen praktiziert.
Der Kirchensteuersatz liegt in Baden-Württemberg und Bayern bei acht Prozent, in den übrigen Bundesländern bei neun Prozent der Einkommenssteuer.
Theresia K., 61, hat als Altenpflegerin in einer katholischen Einrichtung gearbeitet, Dieter K., 63, war viele Jahre im Hamburger Kirchenamt tätig. Im Emsland, wo, wie Dieter K. sagt, "sogar die Kartoffeln katholisch sind", besucht das Ehepaar noch immer die Messe, empfängt die Sakramente der Kommunion und der Beichte - obwohl sie es nicht mehr dürfen, wie ihnen ein Mitarbeiter des Osnabrücker Bischofs mitteilt.
Erkläre ein Katholik seinen Austritt, so stelle dies "eine Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft" dar, schreibt Offizialatsrat S., beim Bischof zuständig für Kirchenrecht. Der Gläubige könne die Sakramente erst wieder empfangen, wenn er seine Austrittserklärung rückgängig mache.
Dem Schreiben aus Osnabrück beigefügt ist eine Erklärung der deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2006. Der Kirchenaustritt sei "der öffentlich erklärte und amtlich bekundete Abfall von der Kirche und erfüllt den Tatbestand des Schismas", heißt es dort. Die dafür vorgesehene "Tatstrafe" sei die Exkommunikation. Diese sei als "Beugestrafe" zu verstehen, "die zur Umkehr auffordert".
Doch das Ehepaar K. gibt sich damit nicht zufrieden, es kennt sich aus in den kirchlichen Diskussionen. Die Erklärung der deutschen Bischöfe sei "als nichtig anzusehen", schreibt Theresia K. und verweist auf eine Stellungnahme des apostolischen Stuhls. Danach könne niemand exkommuniziert werden, wenn er sich nicht nachgewiesenermaßen vom Glauben abgewendet habe. Ein Austritt vor einer staatlichen Stelle reiche dafür nicht aus.
Tatsächlich gibt es nicht wenige Kirchenrechtler, die das so sehen. Für einen Abfall von der Kirche sei der Wille erforderlich, "eines der Bande der Gemeinschaft mit der Kirche zu zerreißen", schreibt der Freiburger Professor für Kirchenrecht Georg Bier. Dieser Wille müsse schriftlich kundgegeben und von einer kirchlichen Autorität überprüft werden.
Theresia K. weigert sich, die Auskunft aus dem bischöflichen Offizialat zu akzeptieren. "Ich habe den Weg des Glaubens nie verlassen, wieso soll ich ,umkehren'?", möchte sie wissen. "Welchem Verbrechen mache ich mich nun schuldig, weiterhin die Sakramente zu empfangen? Welche Tatstrafe resultiert hieraus?"
Kirchenrechtler S. in der Bischofskanzlei schreibt, etwas anderes, als er schon geschrieben hätte, könne er nicht sagen, doch Theresia K. genügt das nicht. Sie bittet, sie fordert, inzwischen ist es Dezember, Weihnachten naht. Sie wolle "in Freude und Frieden mit Gott unserm Herrn die Adventszeit erleben und die Geburt seines Sohnes, Jesus Christus, feiern können", schreibt sie.
Offizialatsrat S. sieht sich genötigt, ein letztes Schreiben aufzusetzen. Er verweist aus dem Brief des Paulus an die Korinther, zitiert das Kirchenrecht: Die Kirche habe das Recht "von den Christgläubigen das zu verlangen, was für ihre Zwecke notwendig ist". Wer sich dieser Aufgabe entziehe, verhalte sich unsolidarisch der Gemeinschaft gegenüber.
Er werde keine weiteren Schreiben in der Sache beantworten, teilt der Offizialatsrat mit, dies sei schon sein drittes, und der Ton der Briefe sei stellenweise "durchaus unverschämt". Theresia K. habe die Kirche verlassen, erwarte aber von ihm, dass er antworte. Das sei absurd.
An diesem Punkt eskaliert der Konflikt. "Wer sind Sie eigentlich, der meiner Frau ihren Glauben absprechen will?", schreibt Herr K., der nun übernimmt.
Herr K. schreibt an den Bischof, er solle auf "seinen Verwaltungsbeamten" einwirken, sonst werde er die "einschlägigen Medien" einschalten. Der Sekretär des Bischofs bietet daraufhin ein Gespräch mit Generalvikar an, doch das Ehepaar K. lehnt ab - man wolle nicht irgendeinen "Stellvertreter" sprechen, sondern man wolle die Fragen vom Bischof persönlich beantwortet bekommen.
Dieter K., das sollte man vielleicht wissen, war bei der Bundespolizei, ehe er zur Kirche kam. Im Hamburger Kirchenamt hatte er direkt mit dem damaligen Weihbischof Karl-August Siegel zu tun: er war sein Fahrer, arbeitete als Messdiener. Er habe mit dem Bischof viele Gespräche geführt, kenne Interna, schreibt er an den Osnabrücker Bischof Bode. Es seien für die katholische Kirche "recht peinliche Dinge", mit denen er an die Öffentlichkeit gehen könne. "Mit christlichen Grüßen, ich werde für Sie beten."
Der Antwortbrief ist von Bischof Bode persönlich unterschrieben, er lädt Dieter K. zu sich Bischofshaus zu einem Gespräch ein und schlägt zwei Termine vor. Dieter K. lehnt ab: Er brauche kein persönliches Gespräch, er wolle Antworten. Ob es denn nötig sei, dass der Bischof auf so teurem Büttenpapier schreibe? Das sei doch Verschwendung von Kirchensteuern.
Dieter K. - inzwischen ist es kurz vor Ostern - setzt dem Bischof eine Frist, die Fragen zu beantworten, worauf dieser ihm ein neues Schreiben der Deutschen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt präsentiert - immer noch auf dem teuren Büttenpapier, wie Dieter K. kritisch anmerkt. Danach dürfen bei einem Kirchenaustritt die Sakramente nicht empfangen werden, es sei denn bei Todesgefahr. Auch das christliche Begräbnis kann verweigert werden.
Nach Ostern schickt K. noch ein Einschreiben nach Osnabrück: "Leben meine Frau und ich nun in ewiger Sünde, wenn wir nicht mehr Kirchensteuer zahlen?", fragt er. Doch der Bischof antwortet nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“