Katastrophe in China: Erdbeben macht 5 Millionen obdachlos
22.000 Tote wurden bereits bestätigt, der Krisenstab rechnet aber bereits mit 50.000 Todesopfern durch das Beben. Chinas Regierung drängt auf schnelle Beerdigung der Leichen.
PEKING dpa/ap Das schwere Erdbeben in China hat rund fünf Millionen Menschen obdachlos gemacht. Bislang sind in der betroffenen Provinz Sichuan rund 22.000 Tote bestätigt worden. Doch der Krisenstab rechnet bereits mit mehr als 50.000 Toten. Wie die chinesische Regierung nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, sind in Sichuan und den Nachbarprovinzen rund 169.000 Menschen durch das Beben verletzt worden.
Die Regierung mahnte, dass die Leichen möglichst schnell und abseits von Wasserquellen oder bewohnten Gebieten beerdigt werden sollten.
Derweil haben starke Nachbenen die Menschen am Freitag erneut in Panik versettz. Der heftigste Erdstoß hatte US-Geologen zufolge eine Stärke von 5,5 auf der Richterskala.
In der südwestchinesischen Provinz Sichuan wurden am Freitag noch mehr als 10.000 Verschüttete unter den Trümmern vermisst. Die Überlebenschancen schwinden mit jeder Stunde. Doch noch rund 80 Stunden nach dem Beben konnten die Rettungsmannschaften aus den Trümmern einer eingestürzten Schule ein überlebendes Kind bergen. Wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am Freitag weiter berichtete, konnten die Retter in Beichuan aus dem zusammengestürzten Gebäude noch andere schwache Hilfeschreie hören und haben nun neue Hoffnung geschöpft, weitere Schüler zu retten.
Es mangelte an Medikamenten, Blutkonserven, Trinkwasser und Nahrung. Nach Ministerpräsident Wen Jiabao, der seit Montag vor Ort die Bergungsarbeiten koordiniert, ist am Freitag auch Staats- und Parteichef Hu Jintao in die südwestchinesische Provinz Sichuan geflogen.
Niemals seit der Staatsgründung im Jahr 1949 sei ein Erdbeben so zerstörerisch gewesen, sagte Regierungschef Wen Jiabao nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Es sei stärker gewesen als das Erdbeben im Juli 1976 in Tangshan in Nordostchina mit rund 240.000 Toten, das als das folgenschwerste des 20. Jahrhunderts gilt. Rettungstrupps haben nach Angaben des Gouverneurs von Sichuan bisher mehr als 13.000 Menschen lebend aus den Trümmern ziehen können. Neue Gefahr drohte durch Schäden an mehr als 500 Staudämmen im Erdbebengebiet. Sollten sie brechen, könnten weite Landstriche überflutet werden.
Die Seuchengefahr rückte immer weiter in den Mittelpunkt. Regierungschef Wen Jiabao mahnte, dem Ausbruch von Epidemien besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Das Parteiorgan Renmin Ribao (Volkszeitung) verbreitete am Freitag einen Aufruf: "Wir müssen gegenüber den potenziellen Gefahren höchst wachsam sein und vorbeugende Maßnahmen ergreifen." Vizegesundheitsminister Gao Qiang sagte, die Rettung von Leben habe in der ersten Phase nach der Katastrophe Vorrang, doch müssten jetzt die hygienischen Bedingungen, die Seuchenkontrolle und Vorbeugung besondere Beachtung finden.
Die Behörden wurden aufgerufen, die Lage genau zu beobachten, um sofort den möglichen Ausbruch von Seuchen festzustellen. Auch die mehr als 100 000 Soldaten, die bei den Bergungsarbeiten helfen, wurden zur Wachsamkeit aufgerufen. Ein hoher Parteifunktionär der schwer betroffenen Präfektur Aba, Bai Licheng, sagte, die hohen Temperaturen beschleunigten die Zersetzung der Leichen. Nach einem Besuch in dem schwer zerstörten Ort Yingxiu sagte Bai Licheng, die Leichen lägen auf dem Boden und schlechter Geruch liege bereits in der Luft. "Wir brauchen dringend Leichensäcke."
Erstmals in der Geschichte Chinas arbeiten auch ausländische Bergungsteams im Katastrophengebiet. Als erste kamen japanische Spezialisten. China hat weitere Angebote aus Südkorea, Singapur, Taiwan und Russland angenommen, Rettungsmannschaften zu schicken. Auch die Vereinten Nationen haben ihre Hilfe angeboten. UN- Generalsekretär Ban Ki Moon sprach den Familien der Opfer angesichts dieser "schrecklichen Tragödie" sein tiefstes Beileid aus.
Einige zehntausend Obdachlose verbrachten die vierte Nacht unter Planen im Freien. 50.000 Decken und 37.700 Zelte sind in Sichuan eingetroffen. Weitere 75.000 Zelte sollen folgen, berichtete das Verwaltungsministerium. Rund 10.000 medizinische Helfer aus Sichuan und anderen Provinzen sowie von Militär und Polizei seien im Einsatz. Mehr als 130.000 Soldaten sind mobilisiert. Die Regierung hat mehr als 670 Millionen Yuan (62 Millionen Euro) als Soforthilfe zur Verfügung gestellt.
Nach Vorwürfen wegen des Einsturzes vieler Schulen, bei denen tausende Kinder unter den Trümmern begraben worden waren, ordnete die Regierung eine Untersuchung der Bauqualität an. Falls die Gebäude Qualitätsprobleme hatten, sollen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, kündigte das Bildungsministerium an. Allein in der Provinz Sichuan sind 6898 Schulhäuser zerstört worden. Empörte Eltern wiesen darauf hin, dass viele Behördengebäude dem schweren Beben besser standgehalten hätten als die Schulen.
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