Katalonien: Erdige Blume von Schiefer und Granit

In mancher Hinsicht liegt das Alt Empordà im Hinterland der spanischen Costa Brava noch im Dornröschenschlaf. Aber die Winzer haben die Zeichen der Zeit verstanden. Weinprobe im Tramuntana-Land

Ruheplätzchen vor Weinbergen in Katalonien Bild: mirofoto/sxc

Die Autotür klemmt? Nein, es ist der Wind, der so stark dagegen bläst, dass wir sie nicht aufbekommen. Endlich im Freien, zerzaust er unsere Haare, bläht unsere Hemden auf, und wir müssen Jacken und Taschen festhalten, damit sie uns nicht um die Ohren fliegen. So ist die Tramuntana, jener kalte, trockene Nordwind, der mit ziemlicher Regelmäßigkeit und Geschwindigkeiten von bis zu 120 Stundenkilometern über die nördliche Costa Brava hinwegfegt. Rosmarinsträucher, Wacholder, Zistrosen, wilder Fenchel - alles duckt sich, viele Pflanzen haben mit der Zeit merkwürdig verkrüppelte Formen angenommen. Und wenn sich die Vegetation mit dem Wind noch mehr oder weniger gut arrangiert, dann nimmt die Zivilisation großen Schaden. Da werden Dächer abgedeckt, Fischerboote versenkt und Menschen in den Wahnsinn getrieben.

Und dennoch: Für den Weinbau ist die Tramuntana ein Segen. "Der Wind ist unser großer Verbündeter", erklärt Núria Dalmau von der Weinkellerei Mas Estela. "Ohne ihn könnten wir keinen Biowein machen." Schließlich blase er nach dem Regen jegliche Feuchtigkeit weg, sodass sich an den Reben weder Pilze noch sonstige Krankheitskeime ausbreiten. Auf Pestizide, Fungizide und andere Chemikalien könne man deshalb getrost verzichten. Seit zwanzig Jahren baut die Familie Soto-Dalmau in dem winzigen Dorf Selva de Mar im Hinterland der Costa Brava auf fünfzig Hektar Reben an und erzeugt daraus Weiß-, Rot- und Süßweine. Viele der jährlich rund 30. 000 produzierten Flaschen werden inzwischen nach Deutschland, in die Schweiz und sonst wohin exportiert.

Dass sie einmal so viel Erfolg haben würden, war anfangs nicht vorauszusehen. Nur ein Dickkopf wie Diego Soto Olivares, hieß es damals, könne seine Existenz als Architekt in Frankreich aufgeben, um sich als einziger Winzer weit und breit dem ökologischen Weinbau zu widmen. Während andere mit Rebsorten wie Merlot oder Cabernet Sauvignon operierten, baute er konsequent Garnatxa- und Carinyena-Trauben an, die für das Empordà typisch sind. "Die gedeihen bei den klimatischen Bedingungen einfach besonders gut und geben den Weinen ihre eigene Persönlichkeit", spricht er aus Erfahrung. Tatsächlich: Ob der rote Crianza "Quindals 2006" oder der Reserva "Selva de Mar" von 2004 - jedes Mal sind es potente Tropfen mit rund 15 Prozent Alkohol und unverwechselbar fruchtigem Aroma.

Das Weingebiet: in der Region Alt Empordà ist von Figueres aus mit Auto oder Rad zu erreichen. Es eignet sich ideal zum Wandern, wobei aber kaum öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung stehen.

Die Weinbodegas: Die großen Bodegas sind meist von Dienstag bis Samstag, zum Teil auch sonntagmorgens geöffnet, die kleineren vor allem am Wochenende und auf Anfrage. Besonders sehenswert neben der Bodega Castell de Peralada sind das Schloss mit Weinmuseum und Bibliothek mit allein 1.000 Ausgaben des Don Quichotte sowie der Kreuzgang San Doménech. Eine Liste der Bodegas mit ihren Adressen ist auf der Homepage www.doemporda.com zu finden.

Die Unterkunft: Neben dem Golf Hotel Peralada mit Wine Spa (www.slh.com/peraladawine, DZ mit Frühstück ab 120 Euro) gibt es eine Reihe von Adressen, die Bed and Breakfast oder ganze Häuser auf dem Land anbieten (www.gironarural.com oder www.turismeruralacatalunya.com, Übernachtungen ab 20 Euro, Häuser ab 500 Euro pro Woche). Außerdem organisiert das Hotel Empordà in Figueres (www.hotelemporda.com, DZ ab 97 Euro) Aufenthalte mit Kellerei-Besichtigungen und Weinproben.

Mehr Informationen: bei Katalonien Tourismus in Frankfurt, Tel. (0 69) 74 22 48 73, www.katalonien-tourismus.de

Die Bodega Mas Estela ist ein gutes Beispiel für die Winzer, die in den vergangenen Jahren im Alt Empordà eine kleine Revolution in Gang gesetzt haben. Lange Zeit dümpelte hier alles vor sich hin. Dabei ist es das älteste Weinanbaugebiet Spaniens. Schon vor mehr als zweitausend Jahren brachten die Griechen, als sie im nahe gelegenen Hafen von Empúries landeten, Reben mit. Im Mittelalter setzten dann die Klöster von Sant Pere de Roda und Sant Quirze de Colera den Anbau fort. Es entwickelte sich ein schwunghafter Handel. Bis um 1880 herum die Reblaus alles zunichtemachte.

Erst im 20. Jahrhundert wurden wieder Reben gepflanzt und schlichte Tischweine gekeltert. Zwar werden die hochwertigen von ihnen seit 1975 mit der Herkunftsbezeichnung DO Empordà geschützt. Doch bis heute stellen viele Bodegas und Kooperativen sogenannte vinos de batalla - billige Weine für große Gelage - her. Die Stammkunden kommen mit Fünfliterkanistern und lassen sie sich mit ihrem Lieblingstropfen für ein oder zwei Euro pro Liter füllen. Keine Frage, die spritzigen Weiß- und Roséweine, die ungeschönten Roten, der süße Moscatell und der Víranci mit seiner leichten Sherry-Note können durchaus schmecken. Nur zur Lagerung taugen sie nicht. Anders als die Spitzenerzeugnisse einiger Winzer, die inzwischen auch auf der Weinkarte des nahe gelegenen Gourmetrestaurants "El Bulli" zu finden sind.

"Im vergangenen Jahr wurde unser Gran Claustro als Aperitif zu Ferran Adriàs Degustationsmenüs gereicht", weiß Angels Alfonso von der Schlosskellerei von Peralada zu berichten. Als größter Produzent der Region war die Kellerei Castell de Peralada der Motor bei der Umstellung auf Qualitätsweine. Mit einem Jahresvolumen von zehn Millionen Flaschen und potenten Geldgebern wie der Adelsfamilie Suqué-Mateu, der auch das Schloss Peralada mit dem Kasino gehört, kann sie es sich leisten, mit Rebsorten zu experimentieren. Mal werden Weine ausschließlich aus Carinyena- oder Garnatxa-Trauben gemacht, mal solche, deren Trauben nur von einem bestimmten Gelände stammen. "Einzigartig in Spanien ist hier ja nicht nur das Zusammentreffen von intensiver Sonneneinstrahlung, trockenem Nordwind und dem Mittelmeer, das sowohl im Winter als auch im Sommer für milde Temperaturen sorgt", erklärt Önologe Delfí Sanahuja. "Das Besondere ist auch, dass man hier auf kleinstem Raum eine größtmögliche Vielfalt an Böden antrifft."

Schwarzer und grauer Schiefer oder Granit wechseln mit Lehm- und Sandböden ab, was sich auf den Geschmack der jeweiligen Trauben auswirkt. Dementsprechend fällt der "Finca Garbet 2006", dessen Trauben auf harten Granitböden in unmittelbarer Küstennähe wachsen, mit seiner Balsamico-Note wesentlich aromaintensiver aus als der auf Sandböden gereifte "Finca Malaveïna 2006", der dafür einen höheren Säuregehalt aufweist. Sie munden uns alle beide, und spätestens nach der Weinprobe wollen wir wissen, was man da so alles herausschmeckt. Deshalb lassen wir uns nicht nur die unterschiedlichen Fincas der Schlosskellerei zeigen, sondern machen uns zu einschlägigen Bodegas auf den Weg - und entdecken dabei die geballte Schönheit des Empordà.

Im Castell de Peralada befindet sich heute ein Spielkasino Bild: Josep Renalias/cc-by3.0

Ist es der Wein, der unseren Blick verklärt? Oder ist es der Anblick des Landstrichs, der den Geschmackssinn für den Wein erst richtig schärft? Jedenfalls geraten wir ins Schwärmen über die archaische Hügellandschaft, die trotz ihrer Nähe zur Küste touristisch weitgehend unerschlossen ist. Das Fremdenverkehrsamt hat gerade mal ein paar Wanderwege und Sehenswürdigkeiten wie die mittelalterlichen Klöster ausgeschildert. Ansonsten scheint die Zeit hier stehen geblieben zu sein. Auf kleinen Hügeln sitzen Dörfer wie Espolla, Rabós oder Garriguella mit alten Gemäuern aus Naturstein, in denen kaum ein Geschäft oder Café zu finden ist. Dafür sind hier die letzten Exemplare der vom Aussterben bedrohten Mediterranen Schildkröte und der autochthonen Albera-Kühe zu Hause. Gen Norden wird es dann wilder und rauer, anstelle von Reben wuchern an den Hängen der Serra de lAlbera knorrige Stein- und Korkeichen, zwischen dichtem Buschwerk verstecken sich Dolmen und Menhire aus prähistorischer Zeit. Darüber erheben sich Gipfel wie der 1.257 Meter hohe Puig Neulós, die die Grenze zu Frankreich markieren. Am besten erkundet man die Facetten der Landschaft von der Küste bis zu den Bergen im Gleichklang mit den unterschiedlichen Weinen.

So machen wir erst in der Bodega Martín Faixo hoch über Cadaqués Station, wo köstlicher Moscatell namens Perafita gekeltert wird, besuchen dann den jungen, ambitionierten Winzer Josep Serra in seiner Bodega La Vinyeta in Mollet de Peralada, um den erdigen roten "Heus" zu probieren, und fahren weiter nach Capmany, wo sich die Brüder Xavier und Jordi Oliver Conti mit ihren hochpreisigen Qualitätsweinen gegenüber traditionellen Kellereien wie Oliveda, Pere Guardiola oder Castillo de Capmany behaupten.

Letzte Station ist die Bodega La Vinya dels Aspres in Cantallops. Dort, wo dem Ortsnamen zufolge schon die Wölfe heulen, lässt Winzer David Molas seinen vollmundigen Süßwein "Bac de les Ginesteres" 54 Monate lang in bauchigen Flaschen an der Sonne reifen. Als gelte es, die Menschen mit den Unbilden des Landstrichs zu versöhnen. Denn hinter dem nördlichsten Dorf des Empordà beginnen dann tatsächlich Els Aspres - die raue Gebirgsgegend, die noch ganz andere Überraschungen als Weine bereithält.

Dorf im Alt Empordà Bild: Alba Argerich

Die schmale asphaltierte Straße geht in eine steinige Schotterpiste über, die sich den Berg hinaufschlängelt. Zwischendurch lugen aus der dichten Vegetation immer wieder die gezackten Mauern des Castell de Requesens hervor. Im 11. Jahrhundert von Gaudfred II. erbaut, gehörte die Burg lange Zeit den Grafen von Rocabertí, die sie im 19. Jahrhundert in mittelalterlichem Stil rekonstruieren ließen. Danach setzte ihr der Spanische Bürgerkrieg zu, später trugen hier einquartierte Soldaten zur weiteren Zerstörung bei. Übrig geblieben ist eine geheimnisvolle Ruine in völliger Einsamkeit. Oder fast: Denn immerhin lädt nahebei La Cantina, ein uriges Lokal in einem Bergbauernhof, zu auf Holzkohle gegrilltem Fleisch ein. Während die Wirtin riesige Platten mit Salat, Würsten und Lammkoteletts bringt, stecken Kühe ihren Kopf durch die Tür und sehen zu, wie wir uns gekühlten Rosé schmecken lassen. Natürlich kommt der aus der Region. Ein ehrlicher Tropfen, die Flasche zu drei Euro, ist er das flüssige Resümee dessen, was uns hier umgibt - wild bewachsene Granit- und Schieferfelsen, hundertjährige Korkeichen und die erbarmungslos pfeifende Tramuntana.

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