Kassen und die Schweingrippe-Prävention: Bund und Länder zahlen für Impfung
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt geht Kompromiss ein: Krankenkassen zahlen die ersten 50 Prozent der Kosten für Schweinegrippe-Impfungen, ab dann springen Bund und Länder ein.
BERLIN rtr/epd/taz | Bundesregierung und Krankenkassen haben ihren wochenlangen Streit um die Bezahlung der geplanten Impfkampagne gegen die Schweinegrippe beigelegt. Für die Hälfte der Bürger könnten die Krankenkassen die Kosten ohne Zusatzbeiträge aufbringen. Wenn sich mehr Bürger impfen ließen, werde dies von Bund und Ländern finanziert, sagte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) am Donnerstag nach einem Treffen mit Vertretern der Kassen und ihrer Spitzenverbände.
Bislang hatte die Regierung eine Kostenbeteiligung aus Steuermitteln abgelehnt. Seitens der Kassenverbände war erklärt worden, ohne staatliche Mittel drohten in jedem Fall Zusatzbeiträge für die Versicherten.
"Es geht um eine politische Willenserklärung, dass es nicht zu Zusatzbeiträgen kommen soll (…) und der Staat dann auch mit Steuermitteln einsteht", sagte Schmidt. Niemand könne sagen, wie viele der gut 80 Millionen Bürger sich gegen die neue Grippe impfen ließen. Die Impfung bleibe freiwillig. Schmidt bezifferte die Kosten für die Impfung von 50 Prozent der Bevölkerung auf etwa 1 Milliarde Euro.
Der Chef des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), Klaus-Dieter Voß, zeigte sich zufrieden mit dem Kompromiss, weil nun ein Kostenlimit für die Kassen festgelegt worden sei. Allerdings hatten die Kassen bislang mit höheren Kosten als das Gesundheitsministerium kalkuliert.
Allein für die erste Impfwelle im Herbst mit 50 Millionen Impfdosen für rund 25 Millionen Menschen rechneten die Kassen bislang mit 700 Millionen bis zu 1 Milliarde Euro Aufwand. Nach dem jetzt gefundenen Kompromiss kämen noch einmal mindestens 400 Millionen Euro hinzu.
Schmidt betonte, dass zunächst die Mitarbeiter des Gesundheitswesens und andere sogenannte Risikogruppen geimpft werden sollten. Die Bundesregierung musste diese Woche die Entscheidung über die Rechtsverordnung für die Impfaktion wegen des Finanzstreits verschieben. Dies soll jetzt am Mittwoch geschehen. Bis dahin müssen die Länder der Kostenbeteiligung zustimmen.
Der Mediziner Urs Leonhardt hat angesichts der Schweinegrippe unterdessen vor einer Massenhysterie gewarnt. "Wenn ein Angst machender Bericht über den A/H1N1-Virus auf der Titelseite der Zeitung steht, drängen sich noch am gleichen Tag die Menschen in der Notaufnahme unserer Klinik", sagte der Chefarzt für Innere Medizin des Diakoniekrankenhauses Friederikenstift in Hannover.
Im Friederikenstift hätten sich in den vergangenen Wochen mehrere hundert Menschen testen lassen. "Bisher hatten wir keinen einzigen Erkrankten", sagte Leonhardt. Die Testergebnisse ließen aufgrund der großen Nachfrage mehrere Tage auf sich warten. Jeder Test koste das Gesundheitssystem bis zu 150 Euro. Außerdem müssten die Krankenhäuser Betten vorhalten. Dieses ginge zu Lasten anderer Patienten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch