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Karsai unter 50 ProzentStichwahl in Afghanistan

Bei der Präsidentschaftswahl verfehlte Hamid Karsai die absolute Mehrheit. Nun soll am 7. November eine Stichwahl stattfinden - doch der Winter könnte das erschweren.

Ein Mann sieht sich auf dem Marktplatz von Kabul das endgültige Wahlergebnis an. Bild: ap

DELHI taz | Die Hängepartie um die gefälschten Wahlen in Afghanistan ist zu Ende. Nachdem die Wahlbeschwerdekommission ECC am Montag in Kabul die Auszählungsergebnisse von 210 Wahllokalen wegen Betrugs für ungültig erklärt hatte, gab Präsident Hamid Karsai am gestrigen Dienstag dem Druck der USA nach und kündigte an, in eine Stichwahl mit Herausforderer Abdullah Abdullah zu gehen. Diese soll laut Unabhängiger Wahlkommission IEC am 7. November stattfinden.

"Wir glauben, dass die Entscheidung der Unabhängigen Wahlkommission legitim ist", erklärte Karsai in Kabul. Kurz zuvor hatte die IEC mitgeteilt, Karsai habe knapp die 50-Prozent-Marke verfehlt und liege nur noch bei 49,67 Prozent. Ursprünglich hatte es geheißen, Karsai habe mit 55 Prozent der Stimmen im ersten Durchgang gewonnen.

US-Außenministerin Hillary Clinton zeigte sich "ermutigt", dass Afghanistan sich nun in die richtige Richtung bewege. Ob dieser Optimismus berechtigt ist, muss sich jedoch erst erweisen. Denn der herannahende Winter macht es nicht leichter, einen zweiten Wahlgang abzuhalten. Außerdem hat sich an der schlechten Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes nichts geändert. Das führte schon im ersten Durchgang am 20. August zu einer geringen Wahlbeteiligung und ließ viel Spielraum für Manipulation. Ob eine Stichwahl mit möglicherweise noch geringerer Wahlbeteiligung ein Ergebnis herbeiführt, das der zukünftigen Regierung mehr Legitimität verspricht, ist fraglich.

Die Wahlbeschwerdekommission ECC hatte nach ihrer Untersuchung "klare und überzeugende Beweise für Wahlbetrug" entdeckt, so ihr Sprecher Ahmad Muslim Khuram. Der im Internet zugängliche Bericht der Beschwerdekommission beschreibt, eine Großzahl der Wahlurnen sei mit Stimmzetteln gefüllt worden, die zu 50, 75 oder gar 100 Prozent mit demselben Stift markiert wurden. Weiter habe man vielerorts mehr Stimmzettel gefunden, als ursprünglich ausgegeben worden seien. Auch seien gebrochene oder manipulierte Siegel aufgetaucht. Vor allem bei zahlreichen Frauen-Wahlstationen sei eine unwahrscheinlich hohe Wahlbeteiligung registriert worden.

Nach Angaben der US-Organisation Democracy International sind nach der von der ECC korrigierten Auszählung 1,3 Millionen Stimmen ungültig - das ist ein Viertel der abgegebenen Stimmen. Die IEC hat sich dies nicht komplett zu eigen gemacht. Ihr Sprecher Noor Mohammad Noor gab Karsai gestern immerhin 49,67 Prozent. Die Mitglieder der IEC wurden zum Teil von Karsai ernannt, weswegen Kritiker ihre Unabhängigkeit anzweifeln. Die ECC hatte deswegen vorsorglich darauf hingewiesen, dass die IEC verpflichtet sei, alle "Anordnungen der ECC umzusetzen".

Bis gestern war ungewiss geblieben, ob Karsai den Befund der Beschwerdekommission akzeptieren würde, da dies ihm seine sicher geglaubte absolute Mehrheit raubt. Nach der afghanischen Verfassung kommt es automatisch zu einer Stichwahl wenn keiner der Präsidentschaftskandidaten im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält.

Ein zweiter Wahlgang birgt nun für den Präsidenten das Risiko, dass seine sorgsam zusammengezimmerte Koalition aus Warlords verschiedener Regionen zerfällt. Es wurde daher auch die Möglichkeit diskutiert, eine Stichwahl zu vermeiden, indem Abdullah sich bereit erklärt, unter Karsai in eine sogenannte "Regierung der nationalen Einheit" einzutreten. Diese Option hatte Abdullah stets zurückgewiesen.

Experten sind der Auffassung, die bevorstehende Stichwahl werde zumindest eine gewisse Klarheit in den politischen Prozess bringen, der nach den Wahlen wegen der Betrugsvorwürfe in eine Sackgasse geraten ist. "Wenigstens verschlimmert es die Lage nicht", sagt Martine van Bijlert vom Afghanistan Analysts Network. "Die Situation ist jetzt klarer und könnte sich in Richtung eines der positiveren Szenarios entwickeln." Vieles hänge jetzt jedoch davon ab, wie die Nachricht von der afghanischen Öffentlichkeit aufgenommen werde. Falls das Karsai-Lager Gerüchte über einen "gestohlenen" Wahlsieg verbreiten sollte, könnte der erhoffte Legitimitätsschub durch eine Stichwahl ausbleiben.

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3 Kommentare

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  • GH
    G. H. Pohl

    Demokratie ist ein Zustand mehr oder minderer Qualität, sie muß lange erlernt und täglich neu erkämpft werden.

    Wir in Deutschland haben seit spätestens 1848 eine langen und sehr steinigen Weg zurückgelegt und lernen täglich, daß er niemals beendet sein wird.

    Zur Hochnäsigkeit besteht demzufolge kein Anlaß, ebensowenig wie zu der dümmlichen Annahme, ein einzelner Staat könnte dauerhaft Lebensbedingungen und die Politik eines anderen bestimmen.

    Afghanistan hat nie Demokratie „gelernt“ ist von Kolonialmächten, Provinzfürsten und/oder religiösen Führern sowie ausgeprägter Vetternwirtschaft nebst begleitender Korruption und Gewalt beherrscht worden.

    Wer sind wir denn, daß wir auch bei uns längst nicht erreichte demokratische Strukturen und Verhältnisse glauben auf Afghanistan adaptieren zu können?

    Mit einem Knall Korruption, Vetternwirtschaft, Warlords und Taliban beseitigen – da braucht man nicht weiter zu denken.

    Eine gute Prise Demokratie im Rahmen des Möglichen, was immer das sein mag, nicht mehr und nicht weniger sollte man erwarten. Wenn es dann noch gelingt den Terror gegen die Afghanische Bevölkerung einzudämmen ist schon viel erreicht.

  • K
    Kati

    Der Gegenkandidat hat die Wahl ja auch manipuliert. Die USA wollen nicht einfach ihren Büttel bestimmen. Naja, dürfen beide halt nochmal besch...

    Und dann bestimmt das US-Außenministerium in geheimer Absprache den Wahlsieger. Demokratie eben.

  • J
    Jürgen

    Ein US-Senator, so so.