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Karneval der KulturenMillionen für kulturelle Vielfalt

Die traditionsreiche Großveranstaltung startet am Freitag und setzt auf Sicherheit und Diversität. Sie gestalten über 3.500 Leute und 59 Gruppen.

Eine Darstellerin in Aktion beim Karneval der Kulturen 2023 Foto: Christoph Soeder/dpa

Berlin taz | Knallig, schrill und laut. Ab Freitag zieht der Karneval der Kulturen trommelnd und bunt durch Kreuzberg. „Wir stellen uns gegen eine Welt, in der immer weiter polarisiert wird“, sagt Aissatou Binger von der Karnevalsleitung. „Gerade in Zeiten von öffentlichen Debatten um ‚Remigration‘ ist es umso wichtiger, eine Plattform zu schaffen, die Gemeinsamkeiten, Begegnung und Austausch fördert.“ So versteht sich das vier Tage dauernde Fest selbst als Bekenntnis zur Toleranz, Respekt und Solidarität.

Nach Angaben der Ver­an­stal­te­r*in­nen werden mehr als 3.500 Ak­teu­r:in­nen und 59 Gruppen den Umzug mitgestalten. Damit erreicht das Festival fast einen Umfang wie vor der Pandemie. Im vergangenen Jahr waren mehr als eine Million Zu­schaue­r:in­nen gekommen, die Ver­an­stal­te­r*in­nen erwarten dieses Jahr ähnlich viele.

Geschichtlich entwickelte sich der Karneval Anfang der 90er Jahre rund um das multikulturelle Kulturzentrum „Werkstatt der Kulturen“ in Neukölln. Heute werden die Jahre rückblickend „Baseballschlägerjahre“ genannt. Der Karneval war damals eine öffentliche Reaktion und ein Zusammenschluss gegen aufkeimenden Rechtsextremismus.

„Das Erstarken der AfD und offene rechte Tendenzen in der Gesellschaft machen es auch heute gefährlich, sich öffentlich zu positionieren, speziell aus einer nichtweißen und postmigrantischen Perspektive“, sagt Binger. Sie sieht den Karneval damals wie heute als ein „Forum der Begegnungen“ für Berliner Communities mit verschiedenen kulturellen Bezügen, die nicht nur herkunftsbezogen sind. „Es geht uns darum, dass der Karneval nicht ausschließlich als Folklore-Event missverstanden wird“, ergänzt Co-Leiterin Geraldine Hepp.

Veranstaltung soll nicht missbraucht werden

Inwiefern die Auseinandersetzungen um den Nahostkonflikt auch auf dem Karneval eine Rolle spielen werden, ist auch für die Ver­an­stal­te­r*in­nen noch unklar. Die Karnevalsorga wählt die Gruppen für den Umzug nicht aktiv aus, sondern agiert als koordinierendes und schützendes Organ. „Alle Gruppen müssen den Teilnahmebedingungen und dem Verhaltenskodex zustimmen“, sagt Hepp.

„Darin heißt es unter anderem, dass keine religiösen, parteipolitischen oder extremistischen Inhalte wiedergegeben werden dürfen.“ Wenn Teil­neh­me­r:in­nen oder Be­su­che­r:in­nen das nicht einhielten, werde man dagegen vorgehen. Ein offizielles Nationalfahnenverbot soll es aber nicht geben. Geraldine Hepp räumt allerdings ein, dass „ein Missbrauch der Plattform“ passieren könne. „Das war bedauerlicherweise auch schon immer Teil des Karnevals“, sagt sie, in der Vergangenheit sei es eher um Auseinandersetzungen wegen etwa kultureller Aneignung gegangen.

Menschenmengen beim Umzug letztes Jahr Foto: Christoph Soeder/dpa

Etwas skurril und abschreckend wirkten beim Umzug im vergangenen Jahr die Überwachungstürme entlang der Strecke mit dem Namen „Prefender Pro“. Auch dieses Jahr werden die futuristisch wirkenden Säulen, die mit Kameras und Megaphonen bestückt sind, entlang der Strecke stehen. Sie sollen den Zu­schaue­r:in­nen ein größeres Sicherheitsgefühl vermitteln. Die Türme mit der Aufschrift „Next Level Control“ werden vom Veranstalter selbst aufgestellt, sagt Binger.

„Es geht nicht darum zu überwachen, sondern darum, einzuschätzen“, sagt sie. Grund dafür seien Vorfälle wie der terroristische Anschlag am Breitscheidplatz 2016 oder die Massenpanik bei der Duisburger Loveparade 2010. In Absprache mit dem Sicherheitsdienst wird im „Crowdmanagement“ darauf geachtet, wie bestimmte Besucherströme verlaufen, um bei einer Überfüllung einen Besucherstopp oder Sicherheitsmaßnahmen einzuleiten.

Alles auf Sicherheit

In den vorherigen Jahren wurden dafür immer Personen, sogenannte Crowdspotter, eingesetzt. „Mit den Kameratürmen können wir situativ viel schneller entscheiden“, sagte Binger. Die Kamerasysteme werden dabei zur Live-Einschätzung benutzt und nicht dazu verwendet, Daten zu speichern oder Personen zu identifizieren. „Die Polizei hat keinen Zugriff auf die Aufnahmen“, sagt sie.

Um eine Anlaufstelle für Betroffene zu schaffen, setzt der Karneval der Kulturen auf ihr Awarenessteam. „Wer sich auf einer emotionalen oder körperlichen Ebene unwohl fühlt oder beispielsweise rassistisch belästigt wird, kann sich bei dem Awarenessteam melden, diese seien an festen Spots und teils auch mobil an der Strecke zu finden.

Neben dem Umzug am Sonntag treten beim Straßenfest am Blücherplatz rund 700 Mu­si­ke­r*in­nen und Künst­le­r*in­nen auf – unter anderem auf der neuen Listen To Berlin Live-Bühne auftreten werden. Auf dem Parkplatz an der Zentral- und Landesbibliothek Berlin ist der neue Treffpunkt „Zukunfts(T)raum“ zu finden. Dort haben Festgäste die Möglichkeit, Projekte von Kunstkollektiven und der Zivilgesellschaft zu entdecken.

Im Gegensatz zum letzten Jahr wurde die Umzugsstrecke aus Sorge um Überfüllung für dieses Jahr wieder verlängert. Der Umzug startet am Mehringdamm und führt über Gneisenaustraße und Hasenheide zum Hermannplatz. Rund um den Umzug und den Festplatz gibt es großräumige Straßensperrungen und Halteverbote.

Suche nach weiteren nachhaltigeren Lösungen

Insgesamt steht dem Karneval ein Budget von 2,3 Millionen Euro zur Verfügung, von dem mehr als die Hälfte vom Senat kommt und der andere Teil durch Lizenzgebühren und Sponsoring finanziert wird. Um der Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken, werden die kulinarischen Stände mit Es­sens­ret­te­r:in­nen kooperativ zusammenarbeiten. Außerdem werden zwei Drittel der Gruppen keine Verbrennungsmotoren verwenden. Um Wiesen und Parkanlagen zu schützen, wird der Zugang über die Hasenheide zum Umzug dieses Jahr nicht möglich sein.

Fürs Aufräumen danach hat sich ALBA ein Recycling- und Glasflaschenkonzept überlegt. Die Ver­an­stal­te­r:in­nen rufen außerdem für Montag zu einer „Clean-Up Aktion“ auf. Dabei sollen An­woh­ne­r:in­nen zusammen mit Kar­ne­vals­mit­ar­bei­te­r:in­nen den Mittelstreifen der Gneisenaustraße wieder fit machen.

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