Karenzzeit für Politiker: Zeit für den Übergang

Die Bundesregierung will Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft erschweren – aber nicht für alle. Das letzte Wort darüber hat das Kabinett.

Katherina Reiche: verlässt die Politik und geht in die Wirtschaft. Bild: dpa

BERLIN taz | Was für ein Timing: Am Mittwochnachmittag könnte Katherina Reiche (CDU) einen neuen Job bekommen, die Staatssekretärin des Verkehrsministeriums möchte als Lobbyistin beim Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) anheuern, und dessen Vorstand muss nun über die Personalie entscheiden. Nur wenige Stunden nachdem das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf zur Karenzzeit absegnet: Seitenwechsel aus der Politik in die Wirtschaft will die Regierung künftig erschweren.

Am Mittwochvormittag wird das Kabinett über das sogenannte Karenzzeiten-Gesetz abstimmen, noch im Februar kommt es voraussichtlich in den Bundestag. Gelten wird es für Bundesminister und parlamentarische Staatssekretäre. Wenn sie in die Wirtschaft wechseln wollen, direkt aus dem Amt oder innerhalb von eineinhalb Jahren nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung, müssen sie ihren neuen Job zunächst anzeigen.

Eine Kommission, von der Regierung eingesetzt, soll dann über den Wunsch beraten: Geht der Wechsel in Ordnung oder droht ein Interessenkonflikt? Das Gremium gibt eine Empfehlung ab, dann entscheidet das Kabinett. Es kann grünes Licht geben oder eine Karenzzeit von einem Jahr anordnen. In Ausnahmefällen müssen Expolitiker sogar 18 Monate warten.

Schon im Koalitionsvertrag hatten sich die Regierungsparteien darauf geeinigt, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen. Die Umsetzung verzögerte sich jedoch – vor allem wegen Widerständen aus der Union, heißt es aus der SPD. In der Zwischenzeit wechselte eine ganze Reihe ehemaliger Regierungspolitiker auf Lobbyistenposten.

Ein paar Beispiele: Der ehemalige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) ist seit dem 1. Januar für die politische Kontaktpflege bei der Bahn verantwortlich. Ex-Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) amtiert inzwischen als Cheflobbyist beim Rüstungskonzern Rheinmetall. Daniel Bahr (FDP) sitzt nicht mehr im Gesundheitsministerium, sondern bei einem Tochterunternehmen des Versicherungsriesen Allianz.

Vorwurf: Politiker würden eingekauft

Insgesamt wechselten seit dem Jahr 2008 knapp 20 ehemalige Minister und Staatssekretäre als Lobbyisten in den Wirtschaft. Zuvor hatte schon Gerhard Schröder (SPD) einen gut dotierten Job angenommen. Wenige Wochen nach seiner Abwahl als Bundeskanzler heuerte er bei einer Gazprom-Tochter an.

Kritiker fordern angesichts dieser Liste schon lange eine Karenzzeit. Ihr Vorwurf: Finanzstarke Unternehmen und Verbände würden sich ehemalige Politiker einkaufen, um dank deren Kontakte einen direkten Draht in die Ministerien und Parlamente zu erhalten. Ärmere Akteure seien ihnen gegeüber im Nachteil – im Sinne der Demokratie könne das nicht sein. Außerdem bestehe die Gefahr der Bestechlichkeit: Wer als Politiker auf einen gut bezahlten Lobby-Job spekuliert, möchte mögliche Arbeitgeber schließlich kaum verärgern.

Aber auch das geplante Gesetz beseitige die Gefahr der Korrumpierbarkeit nicht, heißt es bei der Organisation Lobbycontrol. Nötig sei eine Karenzzeit von drei Jahren, sagt Vorstand Ulrich Müller. Außerdem kritisiert er, dass die Regierung laut dem Gesetzesentwurf Seitenwechsel genehmigen kann. „Es ist essenziell, dass die Karenzzeit für alle Wechsel gilt, in denen der Betroffene vornehmlich auf Grund der im Amt erworbenen Regierungskontakte angeheuert wird“, sagt Müller.

Der Einstieg ist gemacht

Dafür müsste das Gesetz aber auch mehr Personen umfassen als nur Minister und parlamentarische Staatssekretäre. Für die ebenfalls einflussreichen beamteten Staatssekretäre, immerhin Vertreter der jeweiligen Minister, gilt die Karenzzeit-Regel beispielsweise nicht. Und dann wären da noch Bundestagsabgeordnete, die je nach Position ebenfalls über hervorragende Kontakte verfügen und sich diese häufig bezahlen lassen.

„Wechsel von der Politik in die Wirtschaft sind aus meiner Sicht wünschenswert“, sagte am Dienstag der Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Böhmer, und verteidigte damit die vorgesehenen Lücken. Ganz andere Töne aus der Opposition: „Lobbycontrol und Transparency International fordern drei Jahre Karenzzeit. In diesem Rahmen sollte sich die Regelung für den Bund bewegen“, sagte Britta Haßelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen.

In der SPD sehen es viele ähnlich. „Die jetzige Einigung begnügt sich jedoch mit einem Vorschlag, der in der Realität wenig ändern wird“, sagte der Dortmunder Abgeordnete Marco Bülow. Und doch geben sich zahlreiche Sozialdemokraten mit dem Gesetz zufrieden: Der Einstieg sei damit gemacht. Und zeige sich die Regelung als nicht ausreichend, steige hoffentlich der Druck auf die Union, noch einmal nachzubessern.

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