Kanupolo im Selbstversuch: Rugby im Wasser

Es wird gerammt, geschubst und geworfen: Die Sportart Kanupolo ist nichts für sensible Gemüter. Der Bundesligist BSC Schwalbe Hamburg ist auf dem Fluss Bille beheimatet und lässt auch mal Neulinge mitspielen. Ein Selbstversuch.

Kampf um den Ball: Beim Aufwärmen verzichten die Spieler noch auf den Helm. Bild: Ulrike Schmidt

HAMBURG taz | Das Kajak neigt sich nach links, dann nach rechts. Wieder nach links und wieder nach rechts. Aus der leichten Neigung wird ein heftiges Wackeln. Ich weiß, was jetzt kommt: Rums! Das Kajak kippt um, mein Gesicht klatscht auf das Wasser und der Blick richtet sich in die Tiefen der Bille. Ich stecke im Kajak fest, die Luft weicht langsam aus den aufgeblasenen Wangen, kleine Blasen steigen zur Oberfläche auf.

Vielleicht klappt ja dieses Mal die Eskimorolle, die es ermöglichen würde, sich schnell samt Kajak wieder aufzurichten. Aber keine Chance. Also warte ich auf den rettenden, muskulösen Arm, der mich wieder an die Oberfläche zieht. Doch irgendetwas stimmt nicht: Der Arm lässt auf sich warten - und die Luft wird knapp.

Ich reiße mir unter Wasser den Helm vom Kopf. Helfen tut dies nicht. Wie komme ich bloß aus diesem Boot heraus? Hektisch schüttele ich meinen Körper hin und her, die Situation verbessert sich so nicht. Die Panik ist jetzt riesig, ich verliere das Orientierungsgefühl. Und da kommt er dann doch: der Arm, der mich wieder an die Wasseroberfläche holt.

"Das ist kein Sport für Weicheier", wurde mir vor meinem ersten Kanupolo-Training beim Bundesligisten BSC Schwalbe Hamburg gesagt. Auf der kleinen Billerhuder Insel im industriell geprägten Stadtteil Rothenburgsort ist der Verein zu Hause.

Zwischen qualmenden Schornsteinen und Schrebergartensiedlungen wird Kanupolo gespielt. Hart, aber herzlich ist nicht nur die Umgebung, sondern auch der Umgangston unter den Spielern.

Kanupolo ist als Ressort dem Deutschen Kanu-Verband zugeordnet. Der Verband zählt 116.000 Mitglieder. Kanupolo wird jedoch lediglich in 114 von 1.300 Kanu-Vereinen betrieben.

Nur in den Bundesligen gibt es ein Ligasystem mit festen Spieltagen. Alle weiteren Mannschaften treten bei Turnieren gegeneinander an.

Die Männer-Bundesliga setzt sich aus zwölf Mannschaften zusammen. Bei den Frauen treten acht Teams an.

Bei den 41. Deutschen Meisterschaften, die Anfang August in Berlin ausgetragen wurden, holten die Männer vom WSF Liblar den Titel. Der BWS Schwalbe Hamburg wurde Vierter. Bei den Frauen gewann der Göttinger PC.

Nicht nur Vereine spielen Kanupolo, sondern auch Schulen und vor allem Hochschulen haben es in ihr Programm aufgenommen.

Der Begriff Kanupolo ist dabei irreführend. Diesen Sport verbindet rein gar nichts mit dem bourgeoisen, adrett gestylten Polo-Sport. Für ein Spiel wird benötigt: Eine Wasserfläche, auf der ein 23 mal 35 Meter großes Spielfeld Platz findet, zwei Tore, die zwei Meter Höhe über der Wasseroberfläche hängen, ein Wasserball, zehn Kajaks mit zehn Paddeln und insbesondere zehn Verrückte, die sich in die Kajaks setzen, um sich in das Abenteuer Kanupolo zu stürzen.

Ziel ist es, den Ball per Hand oder per Paddel ins gegnerische Tor zu bugsieren. Um Missverständnissen vorzubeugen, könnte man wohl eher Kanu-Rugby sagen.

Nils, 32, ist einer der Führungsspieler vom BSC Schwalbe. Seine Glatze ist frisch rasiert und schimmert im Abendlicht, der Oberkörper gestählt und ein Lächeln sitzt stets auf seinen Lippen. Der Konstrukteur für Schiffsinneneinrichtungen scheint gefallen daran zu finden, einen Ahnungslosen in die Geheimnisse seiner Sportart einzuführen. Wir stehen am Steg und er gibt mir Tipps. "Wenn du kenterst, bleib ruhig", ist einer davon.

Wenig später geht die Partie los. Nils hat zwei Teams eingeteilt. Gelbe gegen schwarze Schwimmwesten. Meine gelben Mannschaftskameraden - im Schnitt einen Kopf größer und ein ganzes Stück breiter als ich - scheinen nicht sonderlich begeistert, dass sie mich im Team haben.

Boote krachen aufeinander

Wir positionieren uns vor dem eigenen Tor. Alle sind einen Moment still. Mein Boot wackelt bedenklich. Dann klatscht der Ball, vom Steg geworfen, auf die Bille, die Spieler stürmen in Richtung Ball und krachen mit ihren Booten aufeinander. Das Wasser spritzt durch die Luft und ich kann so schnell gar nicht sehen, wer in Ballbesitz ist.

Das Spiel läuft rasant von der einen Seite zur anderen und wieder zurück. Ich versuche zum gegnerischen Tor zu paddeln, doch da ist der Angriff bereits vorbei. Bevor ich die eigene Abwehr erreicht habe, sind wir längst wieder in Ballbesitz. Während die Partie so richtig Fahrt aufnimmt, bin ich insbesondere damit beschäftigt, nicht umzukippen.

Irgendwann ist es dann soweit: Mein erster Ballkontakt. Nils spielt mir mit einer Mischung aus Freundlichkeit und Mitleid den Ball zu. Zwei Hünen in schwarzen Westen fahren in voller Geschwindigkeit auf mich zu. "Ich komme", schreit der eine. Schnell weg mit dem Ball.

Dieser erreicht glücklicherweise den Mitspieler, doch bevor ich mich freuen kann ist mein Gegner bereits volle Breitseite in mich hineingekracht. Er gibt mir mit seinen Armen einen Stoß, das Kajak kippt um und ich lande mit dem Gesicht im Wasser. Die Eskimorolle scheitert. Der Angreifer reißt mich wieder hoch. "Sah doch schon ganz gut aus", sagt er und grinst.

Ich lächle - noch. In diesem Moment weiß ich noch nicht, dass ich in an diesem schönen Sommerabend genau zehn Mal kentern werde.

Es ist allerhand erlaubt im Kanupolo: Der Gegner darf geschubst und ins Wasser geschickt werden und es ist auch gern gesehen, wenn mit dem eigenen Boot über das Kajak des Gegners hinweggefahren wird.

Das rüde Bedrängen - gepaart mit den durch die Luft wirbelnden Paddeln - hat es in sich. Glücklicherweise ist ein Helm mit Gesichtsschutz Pflicht.

Denn die Paddel-Schläge auf den Kopf sind keine Seltenheit. Mit dem Material möchte man nicht tauschen. Während der Trainingseinheit gehen zwei Paddel zu Bruch, die Kajaks weisen eine erhebliche Anzahl von Schrammen und Dellen auf, brechen tun sie aber nicht.

Für Sportwart Olaf Rosenbauer, der als junger Spieler in den 1970er und 1980er Jahren vier Mal mit dem BSC Schwalbe Deutscher Kanupolo-Meister wurde, liegt der besondere Reiz des Sports in seiner Vielfältigkeit. "Gleichgewichtsgefühl, Kraft, die Koordination des gesamten Körpers und dazu noch taktische Fähigkeiten, all das brauchst du für Kanupolo", sagt der 52-Jährige.

Diese Komplexität könnte auch ein Grund für das Nischendasein der Sportart sein. Fehlende Öffentlichkeit und Sponsoren bedingen, dass bei dem reinen Amateursport auch die Bundesliga-Spieler selber für Ausrüstung, Anfahrt, Unterkunft und Verpflegung aufkommen müssen. "Für die Deutschen zählt nun mal nur der Fußball", sagt Nils, der trotz fehlender Würdigung "nicht mit anderen Sportarten tauschen" würde.

Das sanfte Grün des Fußballrasens ist zumindest weit weniger bedrohlich als die Wassermassen, von denen ich nach einer knappen Stunde Spielzeit jede Menge geschluckt habe. Nachdem ich den letzten Kenterauftritt hinter mir habe, ist für mich das Training vorüber. Ich bin fix und fertig, physisch und psychisch.

Kanupolo ist wirklich "nichts für Weicheier". Falls ich mich jemals wieder an Kanupolo heranwagen sollte, wären MitspielerInnen und GegnerInnen wünschenswert, die nicht unbedingt in der Bundesliga aktiv sind. Zwei Dinge sind vorher allerdings noch zu erlernen: das Kanufahren und - ganz wichtig - die Eskimorolle.

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