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Kann ja auch klappen

Die Kan­di­da­t*in­nen­su­che per Annonce ist weniger exotisch, als man annehmen könnte – und es ist fraglich, ob sie schlechteres Personal in hohe Ämter bringt

Von Benno Schirrmeister

„Nein“, sagt Jörg Bogumil, der seit Jahrzehnten zum Thema Gemeindeoberhäupter forscht, „es hat keinen Sinn, Bürgermeisterkandidaten per Zeitungsanzeige zu suchen.“ „Es sei denn“, schränkt der Bochumer Professor für Stadt- und Regionalpolitik ein, „man findet einfach niemanden.“

Denn noch weniger sinnvoll wäre ja, wenn das Amt nur deshalb unbesetzt bliebe, weil keine Ein­woh­ne­r*in­nen dazu bereit seien. „Das kommt in kleineren Gemeinden vor“, so Bogumil, gerade in den rund 6.000 Orten, wo das Amt bloß eine Ehre ist, keine Einnahmequelle. In Städten dagegen sei es „viel stärker politisch – und im Allgemeinen ist auch Ortskenntnis nötig, um da bestehen zu können“.

Es gibt Leute mit Erfahrung, die sehen das anders. Ursula Belker zum Beispiel: Heute Unternehmerin, war sie Mitte der 1990er stellvertretende Leiterin der Stadtverwaltung in Einbeck in Südniedersachsen. Dann wurde sie in der Stadt Husum in Nordfriesland zur Bürgermeisterin gewählt, auf Vorschlag der CDU. Eigentlich glaubt sie an eine Besten-Auswahl, so wie im Beamtenrecht vorgesehen, sprich: Die Diplomverwaltungswirtin fände es am besten, den Begriff des Hauptverwaltungsbeamten ernst zu nehmen und die Stellen nur per Ausschreibung zu besetzen.

Das ist nicht undemokratisch. Das Modell, die „Norddeutsche Ratsverfassung“, gab es von 1949 bis in die 1990er Jahre hinein in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen: Gewählte Bürgermeister waren für den Fass­anstich zuständig, für Festzeltreden und Grußworte. Die Stadt­direktoren besorgten derweil die Verwaltung. Heute machen die Bür­ger­meis­te­r*in­nen beides.

Belker hätte 2005 in Husum gerne eine zweite Amtszeit dran gehängt. Aber gut verwalten bedeutet, notwendige Maßnahmen auch durchzusetzen, wenn sie unpopulär sind: „Ich habe damals eine Straße gesperrt“, sagt Belker der taz, „weil die eben aus Sicherheitsgründen gesperrt werden musste.“ Die Leute seien nach der Ankündigung zu ihr gekommen und hätten ihr ein Ultimatum gestellt: Straße auf, sonst wählen wir Sie nicht.

Als es mit der Wiederwahl nicht geklappt hatte, bewarb sich die CDU-Frau auf eine Anzeige in Goslar: Die FDP wollte sich im Bürgermeisterrennen vertreten sehen. Das war damals noch recht ungewöhnlich, die Siegchance eher so na ja. Aber Belker hat dort 2006 Kampagne gemacht. Die FDP versprach sich Stimmengewinne bei der gleichzeitig ausgetragenen Kommunalwahl. „Das war kein FDP-Wahlkampf“, sagt Belker. Sie habe die Aussicht gereizt, da gestalten zu können. Hat dann nicht sollen sein.

In überregionalen Medien gerät die Suche per Annonce unter Umständen erstaunlich öffentlichkeitswirksam: Zur Kan­di­dat*in­nen­su­che auf Wangerooge haben ZDF, Spiegel und FAZ schöne Bilder vom Strand gezeigt – und so getan, als wären solche Inserate etwas ganz Besonderes. Dabei hat zum Beispiel in Baden-Württemberg von Aach bis Zell offenbar jeder, der dieses Jahr noch den Posten an der Spitze besetzen muss, zumindest Anzeigen im Staatsanzeiger geschaltet. Der war mal ein Regierungsorgan, ist aber längst privatisiert – und sein Stellenmarkt weltweit online verfügbar.

Der Job ist so schlecht nicht: Ab 2.000 Ein­woh­ne­r*in­nen aufwärts gibt’s zum Einstieg 6.329 Euro. Entsprechend reisen Leute tatsächlich durch die Republik, um irgendwo das große Bürgermeister*innen-Glück zu machen. Davon erfährt man fast nur, wenn es schlecht ausgeht, wie im Fall von Sandra B.: Die Frau aus dem Ruhrgebiet hatte sich 2015 nacheinander mindestens im fränkischen Schrozberg, in Leck in Nordfriesland, in Kirchberg an der Jagst und im badischen Heidenheim beworben, um dann 2016 in L. bei Ansbach gewählt zu werden. Irgendwann gab’s Zerwürfnisse, Unregelmäßigkeiten, Ermittlungen; 2020 kam war sie per Rücktritt einer Abwahl zuvor. Seit Mai ist B. rechtskräftig wegen Untreue verurteilt. Anfragen der taz beantwortet sie nicht.

Ist so ein Fall ein Argument gegen die Rekrutierungsmethode? Nur für den, der all die Bürgermeister ignoriert, die über Parteitickets ins Amt gelangt – und darüber in die Korruption gerutscht sind.

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