Kampfwiegen statt Skispringen

Während schlechte Wetterbedingungen nur ein Weltcup-Springen im Schwarzwald zulassen, sorgen Vorwürfe des vor Saisonbeginn abservierten Skispringers Frank Löffler, der das Thema Magersucht wieder aufs Tapet bringt, für Diskussionen

AUS TITISEE KATHRIN ZEILMANN

Noch bevor in Titisee-Neustadt gestern wenigstens ein Durchgang des Skisprung-Weltcups stattfinden konnte, den der Finne Tami Kiuru gewann, kursierten im Pressezentrum zwei Blatt Papier. Und wenig später, als Rudi Tusch erschien, im Deutschen Skiverband (DSV) verantwortlich für Skispringen und Nordische Kombination, war klar: Die Zeilen auf den Blättern würden für Wirbel sorgen. Es handelte sich um Kopien eines Spiegel-Interviews mit dem Springer Frank Löffler. Er erhebt darin schwere Vorwürfe gegen den DSV. Es geht um Magersucht – ein Thema, das wie ein böses Gespenst immer wieder im Skisprung-Zirkus umherwandelt. Und es geht um seinen Ausschluss aus dem Kader.

Im August wurde Löffler zusammen mit Michael Möllinger von den DSV-Lehrgangsgruppen ausgeschlossen. Sie sollen zu ausgiebig gefeiert und zu viel Gewicht auf die Waage gebracht haben. Beiden wurde aber die Chance gegeben, sich durch gute Leistungen erneut anzubieten. So lautet die Version des DSV. Löffler sieht das anders: „Man stellte mir ein Ultimatum.“ Bei einem Lehrgang habe er 72 Kilo gewogen, er sollte mindestens vier Kilo abnehmen. „Aber diese Vorgaben konnte ich unmöglich erfüllen“, sagt der 23-Jährige. Er hätte Muskulatur an den Oberschenkeln abbauen müssen, aber wegen einer Patellasehnen-Operation hätten ihm die Ärzte davon abgeraten. In einem Schreiben habe ihm der DSV mitgeteilt, dass er wegen seines Gewichts suspendiert worden sei. Dass er wegen nächtlicher Party-Eskapaden ausgeschlossen wurde, hält er für ein „Ablenkungsmanöver“.

Rudi Tusch reagierte enttäuscht auf die Vorwürfe. Man habe Löffler viele Freiheiten eingeräumt, weil er „ein großes Talent“ sei. Vor fast sechs Jahren war er Juniorenweltmeister mit der Mannschaft, im vergangenen Jahr wurde er deutscher Meister. Doch zum Durchbruch in die Weltspitze reichte es nie. „Er hat noch nichts Großes gewonnen, das wollen wir hier einmal festhalten“, betont Tusch. Dass einzig das Gewicht den Ausschlag für Löfflers Rausschmiss gegeben habe, weist der Funktionär zurück: „Es haben sich mehrere Gründe aufsummiert.“

Doch Löfflers Vorwürfe gehen noch viel weiter. Er spricht von „Hungerdiktat“ und permanentem „Terror“. Er stößt wieder eine Diskussion über das Thema Magersucht an, die in der Skisprung-Szene schon viele Jahre lang schwelt. „Im modernen Skisprung gibt es den Glaubenssatz: Leicht fliegt besser.“ Im DSV werde diese Devise „auf die Spitze getrieben. Was hier abgeht, ist kein Skispringen mehr, das ist Kampfwiegen“, findet der Sportsoldat, der von einer Abmagerungskur erzählt, der er sich vor zwei Jahren unterzogen habe: „Ich war nur noch ein Gerippe.“ Er sei nicht weit von der Magersucht entfernt gewesen.

Inzwischen sei ihm klar geworden, „dass unser System krank ist“, so Löffler: „Früher haben die Springer noch gelacht und zusammen Späße getrieben, heute laufen alle nur noch rum wie Geister.“ Skiflugweltmeister Sven Hannawald, der vor vier Jahren auf Fotos als ein extrem abgemagerter junger Mann zu sehen war, sei zwar ein „Ausnahmespringer“, doch Löffler schildert auch: „Manchmal war er so schwach, dass er im Kraftraum die Gewichte nicht mehr stemmen konnte.“

„Löffler lehnt sich zu weit aus dem Fenster“, sagt Tusch, der weiß, wie schwierig der Spagat ist, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass das Gewicht ein wichtiger Faktor im Skispringen ist, andererseits aber niemand in die Magersucht getrieben werde. „Natürlich spielt beim Skispringen das Gewicht eine gewisse Rolle.“ Er erinnert sich an seine aktive Zeit. Toni Innauer etwa, österreichischer Erfolgsspringer und mittlerweile Sportdirektor, sei „eben von der Statur her“ schon immer dünn gewesen und sei es heute noch. „Ich bin zehn Kilo schwerer geworden, nachdem ich mit dem Springen aufgehört habe. Das ist von Typ zu Typ verschieden. Aber es ist doch klar, dass aktive Skispringer weniger essen als du und ich.“

Hannawald, gestern in Titisee nur 37., bestreitet stets, unter Magersucht gelitten zu haben. Ausgebrannt sei er gewesen, aber Essstörungen? Nein. Der Österreicher Christian Moser musste sich allerdings zur Magersucht bekennen. 1996 brach der 1,81 m große Springer in Stams bei einem Wettkampf zusammen, nachdem er auf 58 Kilo abgemagert war.