: Kampfansage der Wähler in Italien
■ Das Ja zur Wahlrechtsänderung richtet sich gegen die Machtergreifung der Mafia
Kampfansage der Wähler in Italien Das Ja zur Wahlrechtsänderung richtet sich gegen die Machtergreifung der Mafia
Die durch das italienische Referendum erfolgte Wahlrechtsänderung mag für den Ausländer nichtig erscheinen. Tatsächlich verbirgt sich dahinter jedoch eine schwerwiegende Auseinandersetzung, fast könnte man sagen, ein Krieg. Nur diese Dimension kann harte, ins Bösartige ausufernde Auseinandersetzungen im Vorfeld der Abstimmung erklären. Bei diesem Krieg geht es nicht um Stimmen, sondern um die Machtergreifung im Rahmen einer neuen, autoritären, mildernd als „Präsidialrepublik“ umschriebenen Staatsform. Auf sie, so schien es die vergangenen Monate, lief fast alles zu. Die immer machthungrigeren Sozialisten Bettino Craxis waren mit Staatspräsident Cossiga (dieser völlig im Gegensatz zu seiner christdemokratischen Partei) dabei, sämtliche demokratischen Errungenschaften zu demontieren— von den Justizbehörden über das Parlament bis hin zur freien Presse.
Unterstützt wurde ihr Vorhaben durch den Zufluß großer Geldsummen und mit einer machtvollen Image-Förderung durch einflußreiche Massenmedien. Die derzeit herrschende mittlere Mafia- Generation setzt ebenso auf die dynamischen und von moralischen Skrupeln freien Sozialisten, wie es jene Dunkelmänner der mit CIA und südamerikanischen Diktaturen verbündeten Geheimloge „Propaganda 2“ tun. Ihr erklärtes Ziel ist offenbar, ihre immensen illegalen Gelder nicht mehr umständlich über korrupte Banken und komplizierte Transaktionen waschen zu müssen, sondern sich damit einen direkten Platz an den Schalthebeln der legalen Macht zu erkaufen: Das mutet schon fast wie eine Wiederholung des Wandels der spätmittelalterlichen Raubritter zum frühen Bürgertum an.
Doch das mit überwältigender Mehrheit gegen den Boykott-Aufruf der Sozialisten und des mafia- nahen Teils der Christdemokraten angenommene Referendum setzt wichtige Signale in die Gegenrichtung: Erstmals muß Sozialistenchef Craxi erkennen, daß ihm das Volk nicht mehr folgt, daß seine Tribunenfunktion im Schwinden begriffen ist. Gleichzeitig müssen Mafiosi und Dunkelmänner entdecken, daß sich das Volk nun doch aufrafft und gegensteuert. Und erstmals macht nun auch jener Teil der Gesellschaft mobil, der sich bisher eher aus den politischen Geschäften heraushielt: das im geltenden System etablierte und den Aufstieg der Mafia-Wirtschaftsbosse fürchtende Unternehmertum speziell des industriellen Nordens. Nicht umsonst war die wichtigste Empfehlung, zu den Wahlen zu gehen und für das Referendum zu stimmen, von einem gekommen, der bei Volksabstimmungen noch nie das Wort ergriffen hatte: Fiat-Herrscher Gianni Agnelli. Werner Raith, Rom
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen