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Kampf ums GymnasiumElternlobby nur für kleine Genies

Der Landeselternausschuss macht einseitig Politik für Gymnasien - obwohl er alle Eltern vertreten sollte. Der Abbau sozialer Unterschiede dürfe nicht "zu Lasten leistungsstärkerer Schüler gehen".

Wie lange diese Mädchen wohl zusammen zur Schule gehen? Die Töchter der ehrgeizigen Eltern sollen nach der 5. Klasse aufs Gymnasium. Bild: ap

Die Frau springt empört auf. "Die Schüler kauen an den Nägeln", ruft die empörte Mutter ihren Zuhörern zu. "Der Mathematikunterricht in den Grundschulen ist miserabel", fährt sie fort. "Und wir haben viele fünfte und sechste Grundschulklassen gesehen, wo das so ist."

Die Frau ist Mitglied der Schulinspektion, die sukzessive allen Berliner Schulen auf den Zahn fühlt. Und die betroffenen Schüler, um die es am Dienstagabend ging, sind die Gymnasialschüler. ihr Schicksal wollte der Landeselternausschuss auf einer Veranstaltung in der Humboldt-Universität beleuchten. "Was passiert mit leistungsstarken Gymnasialkindern, wenn man sie in den fünften und sechsten Klassen der Grundschulen belässt?", fragt André Schindler, der Chef der Landeseltern. Die Antworten aus den Reihen seiner Mitstreiter sind eindeutig: Die Berliner Grundschulen seien grauenvoll.

Landeselternvorsitzender Schindler sagt, die Eltern leistungsstarker Kinder hätten es satt, sich die sechsjährige Grundschule "durch schlechtere Leistungen ihrer Kinder erkaufen zu müssen". Bildungsforscher Rainer Lehmann meint: "Auch einige Gymnasien zeigen Formen suboptimaler Förderung. Aber das ist nicht unser Thema heute." Ein Raunen geht durch die Reihen der knapp 100 Zuhörer.

Was an diesem Abend Thema ist, hat der Landeselternausschuss so sorgfältig vorbereitet, dass der Eindruck entsteht: Die führenden Leute im Landeselternausschuss sehen sich mehr den Gymnasien als anderen Schulformen verpflichtet. Laut seiner Satzung soll der Landeselternausschuss (LEA) allerdings alle Eltern der Stadt vertreten - egal ob ihre Kinder in die Hauptschule oder ins Gymnasium gehen. Eine interne Opposition kämpft nun gegen die Gymnasialeltern um André Schindler. "Der LEA agiert einseitig", sagt Renzi Uyguner vom Bezirkselternausschuss Friedrichshain-Kreuzberg der taz. Die Kreuzhainer sehen die Belange von Migranten und sozial Schwachen im Elternausschuss strukturell zu wenig berücksichtigt.

Tatsächlich gibt es, trotz gegenteiliger Beteuerungen Schindlers, deutliche Anzeichen für eine gymnasiale Schlagseite im LEA. Schindler stimmte im Bundeselternausschuss so lange gegen den Vorsitzenden des Bundeselternrates, Wilfried W. Steinert, bis dieser entnervt das Handtuch warf. Steinerts Fehler: Er hat zu oft und zu laut die "Schule für alle" gelobt.

Nun macht Schindler auch in Berlin Politik gegen die Grundschule. In seinem Gremium wurde gerade eine Arbeitsgemeinschaft "Schulstruktur" eingerichtet. Ziel ist es, "eine gegenüber anderen Bundesländern konkurrenzfähige Bildungslandschaft" zu ermöglichen. Das nimmt beinahe wörtlich eine Formel auf, mit der nach Berlin ziehende Bonner Ministerialbeamte einst gegen die sechsjährige Grundschule zu Felde zogen. Der Abbau sozialer Unterschiede, so heißt es im Auftrag der AG, "darf nicht zu Lasten leistungsstärkerer Schülern gehen". Die lange Grundschule gibt es innerhalb Deutschlands nur in Berlin und Brandenburg - und im Rest Europas.

Und so ist es auch an dem Abend, an dem Rainer Lehmann seine 5./6.-Klässler-Studie "Element" vorstellt. Der Forscher hat Aufsehen erregt, weil er die Vergleichsstudie in Interviews vorab einseitig zu Lasten der Grundschule interpretierte. Die Zeit distanzierte sich von Lehmann, als die echten Ergebnisse vorlagen. Der Berliner Senat entzog Lehmann den Folgeauftrag. In der Humboldt-Uni wird Lehmann von André Schindler aber ganz anders vorgestellt: als ein Held, der endlich die wahren Ergebnisse eine Studie vorstellen dürfe, die der Senat unterdrückt.

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6 Kommentare

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  • D
    dachs

    Ich freue mich, dass meine Zeitung das nun auch nicht nur erkannt, sondern auch gedruckt hat, was da abläuft im LEA.

    Ich habe mir das Spiel zwei Jahre angeschaut und dann für mich entschieden, dass ich in meinem Bezirk viel mehr erreichen kann für die Schüler und die Schulen. Für mich - und viele andere Elternvertreter - sind und waren diese Freitagabende im LEA nur Selbstdarstellungsveranstaltungen des Vorsitzenden und anderer Herren.

    Seltsamerweise sind die Herren in diesen Landesgremien in der Mehrzahl, was sehr verwunderlich ist, da an der Basis, also in den Schulen und in den Bezirksgremien die Vertreterinnen in der Mehrheit sind.

     

    Mit Aufstellung von Forderungen oder Lehrer-Schelte allein kann man nichts erreichen und erreicht hat er ja auch nichts, höchstens die Distanz zur Basis. Wir im Bezirk sehen uns schon lange nicht mehr vertreten durch den LEA, wir nehmen ihn auch nicht ernst, diesen Laden.

    Wes Geistes Kind Herr A.S. ist, hat ja die Posse mit der Bildungspartei mehr als deutlich gezeigt.

    Wer nicht seiner Meinung ist, wird ignoriert, wer weiter gegen ihn aufmuckt, wird gemobbt, unflätig behandelt usw. frei nach dem Motto: wer nicht mein Freund ist, ist mein Feind.

    Und dies noch zum Schluss: vom Ostteil der Stadt hat er keine Ahnung und will sich da auch nicht informieren - Kinder nichtdeutscher Herkunftsprache sind ihm egal, Haupt-, Gesamt-, Real- und vor allem: Sonder- und Gemeinschaftsschulen sind ihm nicht nur egal, er blendet hier die Realität aus.

     

    Ach so, was legiitmiert mich, dies hier in aller Kürze anzureißen?

    Ich bin seit mehr als 11 Jahren Elternvertreterin in schulischen, bezirklichen und auch mal Landes-Gremien und weiß, wovon hier die Rede ist.

    Noch Fragen?

    Aber gern doch!

  • NF
    Nikolaos Fanélon

    Was hat "Genie" mit Gymnasium zu tun? Ich dachte, als "Genie" bezeichnet man große Geistesgaben inklusive ihrer für die Menschheit erinnerungswerten Nutzung (ohne dass ich hier "Nutzung" im Sinne des kapitalistischen (oder kommunistischen) materiellen "Nutzen" meine; ich meine hier die Ausprägung der Begabung, das, worin sich diese Begabung manifestiert). Genie haben für mich gewisse Künstler, Schriftsteller, Philosophen, Schauspieller, Wissenschaftler und in gewisser Weise auch einige politische Akteure, aber kaum prinzipiell alle Gymnasiasten, vor allem nicht solche, die zu jung sind, als dass sich "Genie" schon zeigen könnte.

    Wobei, nach Picasso, alle Kinder schöpferisch sind, die meisten es jedoch mit dem Altern und "Erwachsen"werden verlieren. Doch ich glaube, in dieser sehr polemischen Überschrift ist eher von Schulleistung die Rede. Das Attribut "klein" hat zudem einen abwertenden Beiklang. Es würde mich interessieren, wieviele Mitarbeiter der Taz-Redaktion ihre Kinder auf Gymnasien oder Schulen mit gymnasialen Zweig schicken. Eine Umfrage könnte da durchaus erhellend sein.

  • S
    S.Hoff

    wie wär's mit einer lobby für alle? was ist schlecht daran, sich auch um die belange von kindern mit besseren leistungen zu bemühen? warum wird denn "gymnasiast" fast als schimpfwort deklariert? entweder die schwächeren oder die stärkeren? lieber die hauptschulniveau-schlagseite?

  • D
    Domas

    ....und könnte es sein, daß wir im Kapitalismus leben?

  • Y
    Yaltenbrucker

    "Gymnasiale Schlagseite" - hm. Könnte das vielleicht daran liegen, daß Eltern von Gymnasiasten möglicherweise allgemein motivierter sind, sich in Schulbelange einzubringen, als andere? Nur so ein Gedanke...

  • AR
    Antonius Reyntjes

    Der 'Landeselternausschussgymnasialbildungswille' ist doch systemerhaltend und von 'schwarz' über 'gelb' und 'rot' bis 'grün' das hochgestimmte "blaue Band" aller Konjunktur-Frühlinge (ob gobal, ob lokal) der Leistungspseudos und Besserverdiener und Glaubensgesegneten.

     

    Das ist die Privatkasse der Elternbildungsarbeit, gut gefülllt; immer aufnahmebereit für Mehrwerte.