Kampf um das Emirat Nordkaukasus: Blutiger Anschlag in Stawropol
Bei zwei Explosionen werden sieben Menschen getötet und 42 verletzt. Die russischen Behörden sehen Islamisten als Drahtzieher.
Bei einem Anschlag im russischen Stawropol sind am Mittwochabend sieben Menschen ums Leben gekommen, 42 wurden zum Teil schwer verletzt. Ein Sprengsatz mit einer Stärke von 400 Gramm TNT explodierte vor dem Eingang des Kulturhauses in der am Rande des Nordkaukasus gelegenen Provinzhauptstadt. Ein zweiter Sprengsatz detonierte zeitgleich in einem vor dem Konzertsaal abgestellten Pkw. Augenzeugen wollen beobachtet haben, dass ein Fahrzeug unmittelbar nach den Anschlägen den Ort verließ. Die Behörden des Stawropoler Kreises gehen davon aus, dass hinter den Anschlägen radikalislamische Gruppen stecken, die seit mehreren Jahren in den angrenzenden nordkaukasischen Republiken ihr Unwesen treiben. Das mehrheitlich von Russen bewohnte Stawropoler Gebiet war bislang von größeren Terrorakten verschont geblieben. Für Freitag wurde Staatstrauer angeordnet.
Am Abend sollte die tschetschenische Tanzgruppe "Wainach" in der Konzerthalle auftreten. Eine Viertelstunde vor Beginn der Veranstaltung wurden die Sprengsätze gezündet. Von den Tänzern kam niemand ums Leben. Beobachter vermuten dennoch, dass der Anschlag mit Tschetschenien in Verbindung steht. Die Tanzgruppe "Wainach" ist ein Lieblingsprojekt des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, der mit Härte und Gewalt radikale Islamisten und vermeintliche Rebellen im Kaukasus verfolgt. Er gilt den islamistischen Untergrundkämpfern, die ein nordkaukasisches Emirat anstreben, als Gefolgsmann Moskaus.
Es kursieren aber auch Vermutungen, die russisch-nationalistische Kreise verdächtigen. Vor drei Jahren war es Ende Mai zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen slawischen und kaukasischen Bürgern in Stawropol gekommen, die mehrere Todesopfer forderten. Der Gouverneur der Region, Waleri Gajewski, sprach denn auch von einer "brutalen und beispiellosen Provokation, die darauf abzielt, den ethnischen Frieden im Kreis Stawropol zu untergraben".
Dass es sich um ein Attentat mit gezielter Symbolwirkung handelt, steht außer Frage. Am Donnerstag wurde der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für den Nordkaukasus in Stawropol erwartet. Der Millionär Alexander Chloponin war erst im Januar von Kremlchef Dmitri Medwedjew zu seinem Gesandten mit Sondervollmachten in der nordkaukasischen Krisenregion ernannt worden. Der ehemalige Gouverneur gilt als fähiger Wirtschaftsmanager. Er sollte der Region durch gezielte Investitionen soziale Stabilität bringen. Die aussichtslose soziale und wirtschaftliche Situation besonders Jugendlicher gilt als ein Grund, warum die islamischen Vereinigungen großen Zulauf haben. Der Amtssitz des Sonderbevollmächtigten ist Stawropol, das auch zum Verwaltungszentrum eines neuen Nordkaukasischen Föderalbezirks erhoben wurde. Dem gehören die islamischen Republiken Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien, Kabardino-Balkarien, Karatschajewo-Tscherkessien, das christliche Nordossetien und das Stawropoler Gebiet an. Seit den 1930er-Jahren wurde der Nordkaukasus erstmals wieder zu einer Einheit zusammengefasst. Dass der Amtssitz in Stawropol liegt und ein russischer Sonderbeauftragter im Range eines Vizepremiers die Geschicke der Region übernimmt, trifft bei vielen Republikchefs nicht auf Begeisterung.
Moskau schuf mit dem Föderalbezirk eine Art "Islamostan", dessen Kopf sich aber im russischen Kernland befindet, lautet ihre Befürchtung. Die radikalislamischen Gruppierungen begrüßten denn auch die Gründung des Bezirks im Internet ironisch: Medwedjew tue es ihnen gleich. Auch sie hätten schließlich im Nordkaukasus ein islamisches Emirat ausgerufen. Alexander Chloponin hält die religiöse Unterfütterung des Terrors für vorgeschoben. Mafiaähnliche Gruppen erpressten Schutzgelder und betrieben Eigentumsumverteilung. Es handele sich um kriminelle Organisationen, die ihre Machenschaften geschickt mit dem Namen Allahs verknüpften, sagte er der Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden