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Kampf im ZK um Solidarnosc

■ Die Führung der polnischen KP streitet für die Gewerkschaft/ Wiederzulassung mit Bedingungen?

Warschau (afp/dpa/taz) - Das hat Polen noch nicht gesehen: Die Führung der Polnischen Arbeiterpartei kämpft mit Unterstützung von Ministerpräsident Rakowski für Solidarnosc. Auf der gestrigen Sitzung des Zentralkomitees der PVAP kam es zu heftigen Kontroversen zwischen Parteiführung und Delegierten über einen vom Politbüro vorgelegten Entschließungsantrag: Darin ist von der „gesellschaftlichen Notwendigkeit“ des Pluralismus in Sachen Gewerkschaft die Rede. Die Botschaft wurde verstanden: Wütend protestierte der Vorsitzende des offiziellen Gewerkschaftverbandes OPZZ, Alfred Miodowicz, gegen den „Ausverkauf der Klassengewerkschaft durch die Partei“.

Der Antrag des Politbüros, des obersten Gremiums der Partei, läßt keinen Zweifel mehr daran: Die polnischen Kommunisten sind bereit, die Kröte Solidarnosc zu schlucken, um ihr Reformprogramm auf den Weg zu bringen. Wie aus den Reden hervorging, die am Nachmittag vom polnischen Rundfunk ausschnittweise verbreitet wurden, hat das Politbüro vorgeschlagen, einer schrittweisen Legalisierung der Solidarnosc zuzustimmen. Voraussetzung: Man müsse von Walesa Garantien erhalte, daß die Gewerkschaft die soziale Ruhe nicht störe und das Reformprogramm der Regierung nicht gefährde. Die konkreten Modalitäten und Bedingungen der Zulassung von anderen Gewerkschaften müßten, so wurde während der Debatte deutlich, bei den Verhandlungen mit der Opposition „am runden Tisch“ ausgearbeitet werden.

Mit großer Vehemenz verteidigte Ministerpräsident Rakowski, der noch im Herbst von einer Wiederzulassung der Solidarnosc nicht einmal sprechen wollte, die Position des Politbüros. Er stellte aber auch klar, daß „die neue Solidarität“ keine Neuauflage der alten sein könne, also nicht einer politischen Partei gleichen dürfe. Solidarnosc müsse ihre Haltung zu explizit politischen Organisationen wie der nationalistischen „Konföderation Unabhängiges Polen“ sowie zur Finanzierung durch das Ausland klären. Rakowski schlug eine Frist von zwei Jahren vor, so daß am 3. Mai 1991 zum 200. Jahrestag der ersten polnischen Verfassung Polens ein „neuer Gesellschaftsvertrag“ geschlossen werden könne. Zuvor hatte der neuernannte ZK-Sekretär Zymunt Czarzasty deutlich gemacht, daß es sich nicht um eine bloße Geste der Parteiführung handele, sondern der Pluralismus der Gewerkschaften den Wünschen der Arbeiter entspräche.

Auf der Sitzung, die bei Redaktionsschluß noch andauerte, kam der Fortsetzung Seite 2

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heftigste Widerstand gegen den Antrag des Politbüros von Seiten der offiziellen Gewerkschaften. Ihr Vorsitzender Miodowicz sprach davon, daß die „Klassengewerkschaften“ inzwischen sieben Millionen Mitglieder hätten und deren Entscheidung respektiert werden müßten. Er warnte vor einer Verständigung der Eliten - sowohl auf Seiten der Führung als auch der Opposition - zum Nachteil der Arbeiter, die man dazu bringen wolle, den Gürtel enger zu schnallen. Eine so wichtige Ent

scheidung wie die Wiederzulassung mehrerer Gewerkschaften könne nicht von Politbüro und ZK gefällt werden; die ganze Partei müsse ihr Votum auf der für dieses Jahr geplanten Delegiertenkonferenz abgeben, meinte Miodowicz. Bereits am Montag hatte Staats- und Parteichef Jaruzelski den Grundton der Debatte angegeben. Zu Beginn der ZK-Sitzung hatte er davon gesprochen, das politische und gesellschaftliche Leben sollte unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen geöffnet werden; er vermied es jedoch in seiner vom Rundfunk direkt übertragenen Rede, Solidarnosc beim Namen zu nennen.

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