Kampf der Ethnien in Kenia: Die traurige Tradition der Milizen
In Kenias Nach-Wahl-Chaos veranstalten Gangs Hetzjagden auf andere Volksgruppen. Die Zahl der Massenvergewaltigungen hat sich laut UN verdoppelt.
NAIROBI taz Wer von Nairobi nach Nyeri ins kenianische Hochland fährt, landet kurz vor der Stadtgrenze bei einem Kreisverkehr, an dem sich von morgens bis abends Prediger tummeln. Im Moment steht dort nur ein Mann. Wer ihn versteht, spricht Kikuyu, die Sprache der Volksgruppe, die ursprünglich aus dem Hochland stammt, so wie der umstrittene Präsident Mwai Kibaki. "Der predigt nicht nur Rassismus, das ist Aufruf zum Mord an allen anderen Ethnien", empört sich ein Geschäftsmann aus Nairobi, der auf dem Weg zu seiner Familie an dem Prediger vorbeigefahren ist.
Nach fünf Tagen schwerer Unruhen blieb es gestern in Kenia weitgehend ruhig. Während Sicherheitsminister George Saitoti ein hartes Durchgreifen gegen Kriminelle ankündigte, richteten sich die Augen am Nachmittag auf die je dreiköpfigen Verhandlungsteams, die unter der Vermittlung von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan die Beilegung der Krise herbeiführen wollen. "Wenn wir das Land nicht schnell retten, wird es kein Land mehr geben, das zu retten lohnt", hatte Oppositionsführer Raila Odinga am Dienstagabend zur Eile gemahnt. Kofi Annan mahnte: "Wir müssen uns auf das konzentrieren, was uns zusammenhält, nicht auf das, was uns trennt." Die Gespräche, so erklärte Annan, könnten ein Jahr lang dauern - die dringendsten Probleme müssten allerdings spätestens in vier Wochen gelöst sein.
Gegen das, was ihn zu Hause in Nanyuki erwartete, war die skurrile Scharfmacherei in Nyeri noch harmlos. In der fast ausschließlich von Kikuyu besiedelten Region werde überall offen für den Mord an anderen Volksgruppen gesammelt: "Die gehen von Haus zu Haus und sagen: Habt ihr gehört, was unseren Brüdern und Schwestern rund um Eldoret zugestoßen ist? Gebt uns Geld, damit wir die Übeltäter umlegen können", berichtet der Geschäftsmann. Die da von Haus zu Haus gehen, sind Anhänger einer der berüchtigtsten politischen Sekten, der Mungiki, die sich auf einen mythischen Hintergrund und das Erbe der Mau-Mau berufen, die Kenia von der Kolonialherrschaft befreiten. Viele halten sie inzwischen für kaum mehr als eine mafiöse Organisation. Doch in den Unruhen der Zeit nach den Wahlen, wo viele Kikuyu zu Opfern geworden sind, haben die Mungiki Oberwasser bekommen. Sie drohen, jeden umzubringen, der einen Kikuyu von seinem Hof vertrieben hat. Auch neue Angreifer wollen sie fernhalten - gegen ein hohes Schutzgeld, versteht sich. Bei manchen Kikuyu-Flüchtlingen aus Eldoret kommt das gut an, und auch bei einigen Kikuyu, die die Unruhen aus sicherer Ferne beobachten. Denn im Hochland leben kaum ethnische Minderheiten.
Anders ist das im Rift Valley, das sich westlich des Hochlands von der Grenze zu Tansania bis nach Äthiopien erstreckt. Hier, zwischen dem Hochland im Osten und dem Viktoriasee im Westen, leben unterschiedlichste Ethnien zusammen. Eldoret liegt in der nördlichen Hälfte des Rift Valley - hier sind die Kikuyu in der Minderheit. Seit der Verkündung des Wahlsiegs von Präsident Mwai Kibaki werden sie von Milizen der Mehrheitsethnie, den Kalenjin, verfolgt. Im südlichen Rift Valley, wo die Mehrheitsverhältnisse genau umgekehrt sind, verfolgen Kikuyu-Milizen Kalenjin, Luo und andere Minderheiten, die mehrheitlich für Oppositionsführer Raila Odinga gestimmt haben.
Die ethnischen Milizen haben eine traurige Tradition. Seit langem sind sie der verlängerte Arm politischer Hardliner. Die Mungiki etwa benutzte schon 2002 der damalige Autokrat Daniel Arap Moi, um in Nairobis Slums Angst und Schrecken zu verbreiten. Knapp ein halbes Jahr vor dem Wahltermin wüteten sie in Armenvierteln, wo Luo zu Hause waren. Ihre Morde begingen sie möglichst grausam: Mit Macheten wurden die Opfer niedergemetzelt, sie wurden angezündet oder lebendig begraben. Die gleichen Szenen wiederholen sich in diesen Tagen im Naivasha und Nakuru im südlichen Rift Valley. Die Zahl der Massenvergewaltigungen hat sich in Kenia binnen eines Monats verdoppelt, warnen die UN. "Es ist immer das gleiche: Wenn es Unruhen gibt, sind die Schwächsten die ersten Opfer", erklärt Rahab Ngugi, die in Nairobis Frauenhospital arbeitet. Von 140 Frauen, die hier seit Anfang Januar eine Vergewaltigung gemeldet hatten, war gut die Hälfte unter 18 Jahre alt.
Nicht nur die Opfer, auch moderate Kikuyu fürchten die Mungiki, die ihre Mitglieder mit düsteren Riten auf unbedingte Treue einschwören. "Sie gehen von Haus zu Haus", berichtet ein Kikuyu aus Naivasha. "Wenn du ein Luo bist, dann töten sie dich. Wenn du ein Kikuyu bist, nehmen sie dich mit. Wenn du dich weigerst, töten sie dich auch."
Extremisten haben derzeit in Kenia Konjunktur - die Gerüchte mehren sich, dass einige von Kibakis Ministern die Mungiki mit Geld und Waffen unterstützen. "Die Polizei lässt die Mungiki walten", sagt ein Augenzeuge aus Nakuru. Kurz vor den Wahlen wurde ein Auto mit Regierungskennzeichen in Naivasha angehalten, bis unter das Dach voll geladen mit Macheten. Zwei Tage stand der Wagen an einer Polizeiwache, dann war er verschwunden. Was mit den Waffen geschehen ist, weiß niemand.
Politiker aus Regierung und Opposition geraten wegen der Angriffe der Milizen zunehmend unter Druck. US-Staatssekretärin Jendayi Frazer verglich die Kämpfe im Rift Valley am Mittwoch mit "ethnischen Säuberungen", Großbritanniens Afrikaminister Mark Malloch Brown machte "Drahtzieher im Hintergrund" aus. Der UN-Sonderbeauftragte zur Verhinderung von Völkermorden, Francis Deng, kündigte an, einen Ermittler nach Kenia zu schicken.
Unterdessen haben die ethnischen Milizen die Hauptstadt Nairobi ins Visier genommen. Im Norden von Nairobi brannten am Mittwochmorgen Hütten von Nicht-Kikuyu. "Die Mungiki haben sie abgefackelt", sagt Roger, der als Gärtner im nahen Villenviertel arbeitet. Von der nahen Polizeiwache sei niemand gekommen, um zu helfen. Diesen Vorwurf hört man immer wieder. Zwar versichert Polizeisprecher Eric Kiraithe, man habe die Lage unter Kontrolle, doch das kann nicht ganz stimmen. Von einem Todesschussbefehl war am Mittwoch die Rede, auch das wies er zurück. "Aber wir können nicht zulassen, dass weiterhin Menschen auf offener Straße erschlagen werden", verteidigte Kiraithe ein künftig noch härteres Durchgreifen. Doch ob die Polizei gegen die Milizen eine Chance hat oder haben darf, war vier Wochen nach Beginn der Unruhen in Kenia völlig unklar.
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