piwik no script img

Kampagne von AbtreibungsgegnernEmbryo im Briefumschlag

Der Abtreibungsgegner-Verein "Durchblick" verschickt unaufgefordert geschmacklose Plastik-Föten. Seine Botschaft: Wer abtreibt, der tötet Menschenleben.

Perverse Sendung: Diese Plastik-Embryonen kommen per Post. : dpa

Kurz vor der Adventszeit findet sich dieser Tage eine kuriose kleine Zusendung in einigen erwählten Haushalten der Republik. Auf einem kargen braunen Papierumschlag ist ein Piktogramm eines Wickelkindes gedruckt, darunter steht 1000 und ein Kreuz.

Im Umschlag steckt ein daumengroßes Kunststoffmodell eines Embryos in der zehnten Schwangerschaftswoche. Im Rückblick wirkt nun das außen abgebildete Wickelkind doch eher wie eine fortgeschrittene Zellverschmelzung. Und die 1000, das erklärt die beiligende Broschüre des Vereins "Durchblick" aus Bruchsal, sei die Zahl der Föten, die an einem Arbeitstag abgetrieben werden.

Die Abtreibungsgegner sind zur Guerillataktik übergegangen. Es sind harte Methoden, die sie wählen. Aber der nackte, gekrümmte Plastikembryo macht unmissverständlich ihre Botschaft klar: Wer abtreibt, der tötet einen Menschen. In der Logik von Durchblick e.V. rechtfertigt die Rettung dieses Lebens die perverse Sendung. Diese Sendung werden natürlich auch Männer und Frauen öffnen, deren vielleicht ebensogroßer Nachwuchs gerade im Mutterleib gestorben ist, und ausgeschabt werden musste. Das Püppchen landet in Haushalten, die gerade verzweifelt versuchen, eine Familie zu gründen und etliche Abgänge und Fehlgeburten erleiden müssen.

Aber wo auf der einen Seite, nämlich bei der Plastikpuppe, großer Wert auf Detailtreue gelegt wird, scheinen die Fakten der Gegenseite weit weniger wichtig. Auf welches Gebiet bezieht sich die Zahl der täglichen Abreibungen? Wieviele dieser Schwangerschaftsabbrüche sind aus medizinischen Gründen geschehen und wieviele aus sozialen? "Tatsachen ins Auge zu sehen, schafft Freiheit", erklärt die Broschüre. Vielleicht sollte sich der Durchblick e.V mal an dieses aufklärerische Ideal halten.

Den Abtreibungsgegnern, so erläutern sie selbst, ginge es ebenso um die Kinder, wie um die Abtreibenden: "Therapeuten haben irrationale Ängste und Depressionen bis hin zur Suizidgefahr beobachtet." Damit Konfliktschwangeren geholfen werde, gibt der Durchblick e.V. eine Notrufnummer an. Wer diese Nummer wählt, landet allerdings bei einer Beratungsstelle des Vereins "Vita L, es gibt Alternativen", der Kontakt zu Beratungsstellen und Notunterkünften schafft. Wer unter den Folgen einer Abtreibung leidet, dem wird eine andere Telefonnummer angeboten - da aber geht niemand dran. Die Hilfe wird also outgesourct, offensichtlich geht es den Durchblickenden eher um die Verbreitung ihrer Botschaft denn um Beratung.

Unter www.embryonenoffensive.de schließlich zeigt sich, wer hinter der geheimnisvollen Wurfsendung steht: "Der Verein", so liest man hier, "will den Respekt und die Achtung vor dem einzigartigen Wert fördern, den jedes menschliche Leben darstellt." Überraschend kommt also die Ökonomie ins Spiel. Föten haben einen Wert. Welchen, das steht wiederum in der Broschüre: "Deutschland vergreist. Die Renten werden längst in Frage gestellt, nicht zuletzt, weil ein großer Teil potentieller Beitragszahler früh getötet wurde." Es geht hier also gar nicht um den Schutz ungeborener Kinder, es geht um die Vernichtung von Rohstoffen. Sagt das doch gleich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen